: Hetze auf allen Kanälen
■ Vor den Wahlen am 14. September mißbrauchen Serben, Kroaten und Moslems den Rundfunk für ihre Propaganda. Medienvielfalt bleibt nur ein frommer Wunsch
In Bosnien schweigen zwar die Gewehre, doch die Haßtiraden im Äther gehören knapp zwei Wochen vor den historischen gesamtbosnischen Wahlen keineswegs der Vergangenheit an. Eine zentrale Bedingung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die Abhaltung der Wahlen bleibt bislang unerfüllt: Freie Medien. Dabei wird der Mißbrauch des Rundfunks von allen ehemaligen Kriegsparteien betrieben: Ob Serben, Kroaten oder Moslems – sämtliche Volksgruppen sind gleichzeitig Opfer und Täter beim Kampf auf den Frequenzen.
Dabei herrscht ein stilles Übereinkommen zu Lasten der Pressefreiheit: Keine Seite denkt daran, die unfaire Berichterstattung der anderen an den Pranger zu stellen, um bei den eigenen Propagandatönen ungestört zu bleiben. Einzig die internationalen Beobachter üben laut Kritik.
Die Medienvielfalt wird nur vorgetäuscht
„Die Medienvielfalt, die nötig wäre, um die Bedingungen für freie und faire Wahlen zu schaffen, besteht einfach nicht“, sagt Michael Montgomery von der Internationalen Medienbeobachtungsgruppe in Sarajevo (IWPR). Medienvielfalt existiere allenfalls teilweise in Bosnien, einzig in Sarajevo hätten die Behörden die Bedingungen der OSZE annähernd erfüllt. „Aber in der bosnisch-serbischen Republik und im Westen der Herzegowina (der von den Kroaten kontrolliert wird) gibt es garantiert keine Medienvielfalt.“ Dort haben die Minderheiten keine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Die bosnischen Serben versuchten, durch angeblich unabhängige Zeitungen eine Medienvielfalt vorzutäuschen, die nicht besteht. Die wenigen unabhängigen Journalisten dort arbeiteten in einem Klima der Einschüchterung, berichtet Montgomery. „Unter ihnen herrscht die Furcht, daß die Karten neu gemischt werden, falls bei den Wahlen die Nationalisten gewinnen. Und das bedeutet zunächst einmal, daß sie ihren Job verlieren.“ Einige bekanntere Reporter seien öffentlich von Führern der regierenden Serbischen Demokratischen Partei (SDS) gewarnt worden und hätten deshalb stets Waffen zur Selbstverteidigung bei sich.
Auch in den Gebieten der bosnischen Kroaten steht es um die Pressefreiheit nicht besser. Zwar wird nicht mehr mit Kugeln verletzt, aber unvermindert mit Worten. Die nach Unabhängigkeit strebenden bosnischen Kroaten attackieren häufig die moslemische Führung in Sarajevo, obwohl sie eigentlich zusammen eine Föderation bilden. Auch die von der Partei der Demokratischen Aktion (SDA) des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović gesteuerten Medien mißbrauchen den Rundfunk für ihre Propaganda.
Die OSZE schaut dem Mißbrauch zu
In der Gegend von Bihać, wo 1993 ein Krieg zwischen Sarajevo und den Abweichlern unter Fikret Abdić ausbrach, startete das SDA- kontrollierte Radio eine regelrechte Haßkampagne gegen Abdić, der bei den Wahlen am 14. September kandidiert. Ein Radiosender der Abdić-Truppe, der von kroatischem Boden aus sendet, wird von einem bosnischen Regierungssender gestört, der absichtlich auf der gleichen Frequenz ausstrahlt.
Die OSZE hat zwar das Recht, Geldstrafen bei Verletzungen der Pressefreiheit zu verhängen. Allerdings sei die OSZE „nicht gerade sehr aggressiv“ bei der Einforderung der Medienvielfalt, kritisiert Montgomery. Nicht zuletzt das klägliche Schicksal eines Projektes für einen international finanzierten Fernsehsender für ganz Bosnien sei exemplarisch: Es wurde Zug um Zug verkleinert und immer wieder verschoben. Erst am kommenden Sonntag, eine Woche vor den Wahlen, soll nun die erste Sendung ausgestrahlt werden. Adrian Brown (AFP)
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