: Eine gigantische Metapher
In Jan De Bonts Film „Twister“ entfaltet ein Tornado seine verderblichen Kräfte, die selbst Kühe schweben lassen. Und was folgt daraus? Ein Plädoyer in der Hölle der Natur für die sozialen Kräfte der Regenbogenkoalition! ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Es gibt in diesem Film die Guten, die Schlechten, die Natur und das Wissen. Am Ende gibt es mehr Wissen, aber nur für die Guten, weshalb es die Natur schwerer haben wird, Gute wie Schlechte dem Erdboden gleichzumachen.
Ein amerikanischer Sommerkinohit, der es in sich hat. Mit weiten Schwenks über graue, schwarze, zerklüftete, rasende Himmel und unter gewaltigem Einsatz fauchender, trommelnder und berstender Sounds entfaltet sich ein sauber gestricktes Roadmovie, dessen tröstliche Quintessenz – daß die Liebenden, die sich streiten, sich dennoch lieben – unter Tonnen von fliegendem Schrott in menschlicher Kleinarbeit mühsam geborgen werden muß. Darüber freut man sich, wenn es wieder aufklart.
Ein Tornado ist eine Art Erdbeben von oben. Er bildet sich unsichtbar in der Höhe, rast als Spirale unter der Tarnung einer Gewitterfront hernieder, saugt Menschen, Tiere, Autos, Häuser und Brücken in seinen rasenden Schlund und läßt sie allesamt wieder fallen, bevor er sich in nichts auflöst. Am Ende ist kein Ding am selben Platz, was aber als Schadensmeldung sich relativiert, weil man das eine sowieso nicht mehr vom anderen unterscheiden kann.
„Twister“ erzählt die unwahrscheinliche, aber im Kern wirkliche Geschichte von Wetterwissenschaftlern im amerikanischen Heartland, die es sich in den Kopf gesetzt haben, die physikalische Binnenstruktur des Wirbelsturms zu erkunden. Weil elektronische Fernmessungen und Videoaufzeichnungen sich als wenig ergiebig erwiesen haben, wollen sie ein paar hundert weihnachtsbaumkugelartige Meßzellen im Zentrum des Sturms deponieren. Die Grafik, die ihren Flug wiedergibt, erscheint am Ende des Films auf dem Laptopbildschirm der tüchtigen Forscher. Die beeindruckenden Horrormomente des Films ergeben sich – natürlich – daraus, daß man am Rande eines rasenden Tornados so schlecht einen ruhigen Parkplatz findet. „Ich wußte, daß er Tornados jagt“, sagt eine durch Zufall ins wilde Team gerutschte Zeugin bei Mitte des Films, „aber ich dachte, das wäre eine Metapher“. Grinsen ist an dieser Stelle statthaft, denn der „Twister“ dieses Films ist selbstverständlich nichts anderes als eben dieses, eine gigantische Metapher.
Wie in allen großen Hollywoodproduktionen untersteht die Originalität der Fabel der ideologischen Fracht, die der Film mit sich führt. Deshalb brauchen wir auch die Schlechten: Ein konkurrierendes Team von Wetterleuten, die dasselbe wollen wie die Guten. Zum Schlechten gehört selbstverständlich auch dessen Genese: Die Idee mit den Meßzellen ist den Guten geklaut worden. Das wiederum würde man den Schlechten verzeihen, wenn sie nun der Menschheit hilfreich sein könnten. Das können sie aber nicht, weil sie folgende Merkmale tragen: Sie haben gewaltige Drittmittel bei der Industrie locker gemacht. Sie fahren eine schwarze Flotte nagelneuer Vans, die nach Geheimdienst aussehen. Sie unterstehen einem aufgeblasenen Popanz, dessen Kommandos sie folgen bis in den Tod. Die große Industrie – sagt die große Bilderindustrie – ist böse und kalt!
Während es bei den schlechten Draufgängern nur Männer gibt, sind unter den guten Draufgängern auch Frauen, davon eine in zentraler Position, und die heißt Jo. Es handelt sich um ein verschworenes Team von Freaks, das von der kleinen Lesbe (mal unterstellt) bis zum (ebenfalls unterstellt) nach Schweiß riechenden Grunge-Typ alle einschließt. Sie fahren zehn Jahre alte Pick-up- Trucks, sie hören Musik mit schweren Gitarren. Wer sie wirklich sind, offenbart sich in der einzigen häuslichen Szene des Films; ein Besuch bei Tante Meg in ihrem traditionellen Holzhaus in einer kleinen Ortschaft: Sie serviert Steaks mit Kartoffelbrei und dunkelbrauner Soße für alle, und sie hat selbstgemachte Windmusikskulpturen vor dem Haus: Sieh da, das gute Amerika besteht aus erwachsen gewordenen koedukativen, weltlichen Pfadfindern aus der Regenbogenkoalition, die noch wissen, was echt ist – und sich zugleich vor dem Eigensinn einer Künstlerin nicht fürchten.
Die Intelligenz der Gruppe, wird nahegelegt, entsteht im Sozialen. Sie erwächst aus Selbstbestimmung, in Treue zum eigenen Milieu.
Davon handelt auch die im Zentrum des Sturms plazierte Liebesgeschichte: Bill hat Jo verlassen, so wie er sein Milieu verlassen hat. Im gemeinsamen „Projekt“ findet er zu ihr zurück. Das beste Bild des Films zeigt die beiden, mit Viehgurten an eine Wasserleitung gebunden, horizontal flatternd im Wind, der stärker ist, als Menschen zu glauben gewohnt sind. Der „Twister“ stellt nicht nur die Ordnung der Zivilisation auf den Kopf, sondern kehrt auch die Laufrichtung des Schicksals um.
Das Paar überlebt gegen jede technische Wahrscheinlichkeit in der gemeinsam wiedergefundenen Professionalität, die aber als siebter Sinn für das Kreatürliche geschildert wird. Wie Tiere richten die Guten ihre Sinne in den Äther, während die Schlechten auf ihre Instrumente schauen und mit Volldampf ins Verderben brausen. „Twister“ ist ein Kompendium neuartiger Effekte, die aber weit weniger artifiziell wirken als die stampfenden Saurier von „Jurassic Park“. Die Dynamik des Sturms entwickelt sich aus der berühmten Stille davor, die in der Dramaturgie von Kriegsfilmen als Kampfpause inszeniert ist: Gefahren und Verluste werden neu abgewogen, die Gruppenpsyche wird rearrangiert. Wie der Hauch eines Windes das Liedchen der kommenden Katastrophe säuselt, wird an den sanft klirrenden Metallskulpturen von Tante Meg sichtbar gemacht. Wer will denn noch den Künsten ihre Fördermittel streitig machen, wenn selbst eine lokale Spinnerskulptur à la Calder/Tinguley so sinnvoll sein kann? Der Tornado selbst ist als hakenschlagende Spiralwolke ein eher erstaunliches als furchterregendes grafisches Zeichen; filmisch bedingt ausbeutbar. Mit den Wetterspezialisten geraten wir als Zuschauer willentlich in die Nähe des Biestes, das, wenn man ihm ins Gesicht schaut, keines hat: Regen, Hagel, Sandsturm und Dunkelheit jagen sich gegenseitig, um für Momente die Szenerie freizugeben. Sie erscheint wie eine Miniaturwelt aus Styropor, in die man einen Fön hält, dessen Mechanismus in Bruchteilen von Sekunden von Pusten auf Saugen umstellt und andersherum. Die Effekte des Films kümmern sich weniger um das Zerbersten einer heilen Dingwelt, als um den Übergang von Großschrott in Entropie. Furchtsam darf der Zuschauer mit den forschenden Protagonisten raten, ob diesmal ein Haus geflogen kommt oder nur ein Lastwagen.
Der Ordnung, die man nicht mehr deuten kann, ist so mancher Scherz abzugewinnen: Während Bill und Jo mit ihrem Pick-up in eine schwarze Wolke fahren, fliegt in einem Bogen – mit hilflos von sich gestreckten Vieren – eine Kuh von links nach rechts vorbei. Wenig später dasselbe, von rechts nach links. Jo: „Another one.“ Bill: „I think it was the same.“ (Den Kritikern werden in den Vorschauen meist die Originale gezeigt, weshalb man über die Synchronisation leider noch nichts sagen kann.) Wenig später ergibt es sich, daß ein ganzes entwurzeltes Haus kopfüber auf der Landstraße liegt. Mit der üblen Option konfrontiert, in der Garderobe steckenzubleiben, gibt Bill Gas (ja, der Mann hat das Steuer übernommen, an dieser Stelle greift wieder die alte Hierarchie), fährt durch das umgekehrte Wohnzimmer und das umgekehrte Schlafzimmer: Ein drastisches Bild dafür, daß er mit Jo in eine soziale Ordnung zurückkehren wird, die nicht im Bestellkatalog von Sears verzeichnet ist. Das Innere des Wirbelsturms, das kann man beim „Twister“-Studium in Erfahrung bringen, ist das Gegenteil des Genrebilds.
Schön unheimlich zu wissen, daß die Zivilisation Gegner hat, über deren moralische Natur man nichts wissen kann. Die Abstraktion der Bedrohung, ihre Flüchtigkeit, Ortlosigkeit, momentane Gewalt kann Jan De Bonts Kinodrama veranschaulichen und hörbar machen. Der Sturm selbst ist lauter als das Material, das er zerbricht. Die Motoren brüllen wie Löwen. Man meint die Stimme des Mädchens zu hören, dem „Der Exorzist“ nicht gewachsen war. Es gibt mehr und weniger offensichtliche Versuche im Skript, sich an Stanley Kubricks Kino rückzubinden: Im Autokino, das vom röhrenden Wind heimgesucht wird, beginnt gerade der Showdown von „The Shining“. Die Stärke des Films liegt aber nicht in seinem Verhältnis zum intelligenten Horrorgenre, sondern in der gesuchten Randständigkeit seiner Location, im heimlichen Heldentum mit kernigem Kern.
Ort der Handlung sind ein paar Landkreise im Bundesstaat Oklahoma. Dort – das sei angemerkt – scheint meistens die Sonne; es ist alles wie überall anders in Nordamerika, nur noch ein bißchen weniger. Daß der Gegner, der Häuser in Stücke reißt, als Natur vorgestellt wird, ist im Produktionsjahr 1995/1996 von ideologischem Subtext offensichtlich nicht ganz frei: Denn jeder denkt bei dem Wort Oklahoma an einen Kindergarten, der von rechtsradikalen Wahnsinnigen in die Luft gesprengt wurde. Ob der soziale Sinn, den der Film hochhält, gegen die Düsternis dieser Macht gewappnet ist, bleibt naturgemäß ohne Antwort.
„Twister“. Regie: Jan De Bont; Drehbuch: Michael Crichton / Anne-Marie Martin. Produktionsdesign: Joseph Nemec III. Kamera: Jack N. Green. Mit Helen Hunt, Bill Paxton u.a., USA 1995, 113 Min.
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