: Die Qualen am Morgen
Es ist schon kurios: Ausgerechnet dann, wenn die Telekom-Gebühren am niedrigsten sind, habe ich die besten Verbindungen. Ab 2 Uhr nachts fängt es an, richtig gut zu werden. Am besten ist es ab vier, da flutschen die Daten durch den Draht, daß es eine wahre Freude ist. Bis zum Morgengrauen kann ich saugen, was das Herz begehrt – ohne „Netlag“ und ohne „Weltweit Warten“ auf verstopften Leitungen.
Klar, daß sich dadurch der Lebensrhythmus ein wenig verschiebt. Aber das ist schon in Ordnung, schließlich muß ich nicht um neun in irgendeinem Büro antanzen, und nachts ist es ja auch viel ruhiger. Doch irgendwann will auch der härteste Surfer einmal schlafen. Wer mich vor 14 Uhr anruft, hat einfach Pech gehabt und muß eine Nachricht aufs Band sprechen. Langer Schlaf ist überaus gesund und dient der Schönheit.
Im Alltag ist der zeitversetzt und lang schlafende Mensch jedoch einer Vielzahl von Benachteiligungen ausgesetzt. Das beginnt mit dem Handwerker, der die Heizung partout um sieben in der Früh reparieren muß, und endet noch lange nicht bei den Ämtern, deren Mitarbeiter nach zwölf einfach nicht mehr erreichbar sind. Dies ist eine Gesellschaft von Frühaufstehern, und wer nach einem anderen, gesünderen
Rhythmus lebt, gilt als Outsider und wird mit Verachtung bestraft. Schichtarbeiter und extensive Nightsurfer sind davon besonders betroffen.
Lösung verspricht „DELTAt“, der Verein für Zweitnormalität e.V. „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, sind wir, wo es schöner ist!“ steht treffend auf der Homepage (http://www.netstore.de/ ~delta-t/), und die angezeigte zweitnormale Zeit liegt dreieinhalb Stunden hinter der mitteleuropäischen Sommerzeit (mir immer noch zu früh!). Der Verein will sich für die Belange lang schlafender Menschen einsetzen.
Prima Idee, Schluß mit der Diskriminierung von Langschläfern! Wenn selbst die Kaninchenzüchter ihre Interessenverbände haben, warum nicht auch die Freunde der zeitversetzten Schlaraffia? Was mich aber stutzig macht: Warum muß das mit typisch deutscher Vereinsmeierei geschehen? Die Satzung ist länger als der ganze Rest der Homepage. Da ist vom Vorstand die Rede, von Mitgliederversammlungen, Beschlüssen – und von Beiträgen, die jeder zu entrichten hat. Jetzt habe ich die Wahl: Entweder lasse ich mich weiter von deutschen Frühaufstehern diskriminieren, oder ich werde Mitglied eines deutschen Vereins, der meine Schlafinteressen vertritt. Um dies zu entscheiden, werde ich wohl noch einen Tag schlafen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen