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„Ganz normales Strafverfahren“

■ KurdInnenprozeß: Terrorismusverdacht bald vom Tisch?

Im Prozeß gegen drei KurdInnen vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG) steht mehr denn je in Frage, ob die Anklage nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch aufrecht erhalten bleibt. Vor der einmonatigen Sommerpause im Juli hatten die AnwältInnen von Azime Y., Meryem Y. und Sait B. bereits spekuliert, daß die Bundesanwaltschaft (BAW) die Strafverfolgung nach dem „Terroristenparagraphen“ fallen lassen könnte.

Im Gespräch mit der taz ließen nun die beiden Bundesstaatsanwälte Bruns und Dr. Bauer durchblicken, daß sie das tatsächlich erwägen: „Es handelt sich um ein ganz normales Strafverfahren, in dem es zunächst um zweifachen Mordversuch geht“ schraubten sie die politische Dimension des Prozesses herunter. „Ob es nötig sein wird, die Zurechnung über den Paragraphen 129a bis zum bitteren Ende zu verfolgen, wird sich zeigen.“ Azime Y., Meryem Y. und Sait B. sollen vor dem OLG über ihre von der BAW behauptete Funktion als „RädelsführerInnen“ innerhalb der kurdischen Arbeiterpartei PKK für zwei Mordversuche an vermeintlich abtrünnigen PKK-Mitgliedern verantwortlich gemacht werden.

Auch was die Rekonstruktion der beiden Mordversuche im Oktober 1994 anbelangt, steht die Anklage auf wackligen Beinen. Die Ermittlungen der BAW werden durch die bisher vernommenen ZeugInnen fast durchweg entkräftet. Waren es bislang die kurdischen ZeugInnen, die dementierten, die 1994 vor der Polizei angeblich zu Protokoll gegebenen Aussagen gemacht zu haben, ließ am Mittwoch auch der Kripobeamte Zander Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf früherer polizeilicher Vernehmungen aufkommen.

Er hatte im Oktober 1994 nach den Mordversuchen in Bremen und Hamburg mehrere ZeugInnen vernommen – auch Abdurani D. Der hatte bei seiner Aussage vor dem OLG das damalige Vernehmungsprotokoll als falsch beschrieben. Am Mittwoch mußte Kripomann Zander Ungenauigkeiten einräumen: Laut seinem Vermerk hatte er Abdurani D. im November 1994 Fotos der Angeklagten Meryem Y. vorgelegt. „Spontan und zweifelsfrei“, so beschreibt es sein Protokoll, habe dieser Meryem Y. als die ihm bekannte Gebietsverantwortliche der PKK für den Raum Bremen identifiziert. Als er dies vor Gericht bestätigen sollte, räumte Zander am Mittwoch ein: „Eine Lichtbildvorlage hat niemals stattgefunden, das ist mir völlig neu.“ Nun muß Zander herausfinden, welcher Kollege dem Kurden die Fotos vorgelegt haben könnte – Hausaufgaben vom OLG.

Gestern lehnte das Gericht einen Befangenheitsantrag ab, den die VerteidigerInnen am vergangenen Freitag gegen den beisitzenden Richter Mohr gestellt hatten. Als dieser einen Zeugen über seine Wahrheitspflicht belehrte und über die Strafandrohung aufklärte, hatte er hinzugefügt: „Die PKK ist schlimmer“. Elke Spanner

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