: Wirtschaft von unten
■ „Bescheidene Verhältnisse“, ein Kongreß im Schlachthof, widmet sich der Zukunft der Arbeit Workshops, Ausstellungen, Theater
„The Architecture of Despair – Architektur der Verzweiflung“ wollte die New Yorker Fotografin Margaret Morton ihre Dokumentation über Obdachlose eigentlich nennen, die sich in der Lower East Side und im East Village provisorische Bleiben gebaut hatten. Dann wußte sie: Die BewohnerInnen der baufälligen Häuser, zusammengehalten von dem, was auf der Straße zu finden war, waren nicht verzweifelt; sie waren glücklich, das ewige Nomadentum aufgeben zu können, glücklich, endlich ein Dach über dem Kopf zu haben. Bis die New Yorker Polizei es ihnen wieder nahm, als sie die an verschiedenen Stellen in der Stadt gewachsenen improvisierten Siedlungen abreißen ließ.
Diesem Schicksal wollte die homeless community, die sich in die kilometerlangen stillgelegten U-Bahn-Tunnel der Stadt zurückgezogen hatte, entgehen. Soziale Strukturen entwickelten sich auch dort, underground; die Obdachlosen sind weg von der Straße, sind unsichtbar geworden. Einem kleinen Teil von ihnen wurden Sozialwohnungen zugewiesen; die andern leben noch im Tunnel. Daß die Schlachthof- Leute Margaret Morton und ihre Bilder (Ausstellungseröffnung Freitag, 15 Uhr) kurzfristig nach Bremen holen konnten, ist dem Kontakt Annelie Keils von der Universität Bremen zu verdanken. Die Ausstellung ist Teil des Kongresses „Bescheidene Verhältnisse“, der heute bis Sonntag im Schlachthof stattfindet. Anlaß: Das Kulturzentrum feiert seinen 15. Geburtstag. Da hat man alle Kräfte gebündelt und langfristig mit vielen Initiativen kooperiert, die sich während der 15 Jahre Kulturarbeit etwas aus den Augen verloren hatten. „Bescheidene Verhältnisse“ – das Motto ist vielsagend. Zuerst hatte man, so Elke Heyduck vom Schlachthof, ein wenig gezögert: War denn das Motto kein Eingeständnis, akzeptiert zu haben, daß man finanziell auf Sparflamme kochen müsse? Dann blieb man dabei – aber „wollte sich zu dem Geld nicht auch noch die Sprache wegnehmen lassen“.
In mehreren Arbeitsgruppen soll – unter Einbeziehung des Publikums – diskutiert werden. Das Themenfeld „Arbeit – Armut – Alternativen“ (Freitag, 17 Uhr) wird mit Mechthild Jansen (Köln), Annelie Keil (Uni Bremen), Erika Biehn (Bundessprecherin der Sozialhilfeinitiativen, Frankfurt) und Ulla Peters (Trier) beackert. Fragen nach der Qualität von Arbeit und dem allmächtigen Standort-Begriff sollen hier diskutiert werden.
Zukunftswerkstatt nennt sich die Veranstaltung „Die Rückeroberung der Arbeit“, die am Samstag von 9-18 Uhr im Schlachthof-Turm stattfindet. Und „People's economy“ heißt ein „Workshop für eine Bremer Wirtschaft von unten“, an dem u.a. die Initiativen TauschWatt, Ökobüro Lagerhaus und „Die Tasse“ teilnehmen werden (Samstag 10-18 Uhr, Magazinboden). Alle Arbeitsgruppen sind kostenlos, nur für das Kulturprogramm muß gezahlt werden. Doch auch das ist ein Glücksgriff: „Londn-L.Ä.-Lübbenau“ heißt der „Hardcore-Schwank in Lausitzer Mundart“, den das „Theater 89“ (Freitag, 20.30 Uhr) aufführt. Wie schaffen wir den Anschluß an die Marktwirtschaft, fragt sich das Ehepaar aus der ostdeutschen Provinz – und macht sich selbständig. Ein in der Garage etablierter Getränke-Shop geht pleite. Die dieser deprimierenden Sachlage entsprechende Gefühlslage ist Thema des Stückes.
„Bescheidene Verhältnisse“ heißt auch, so die Veranstalter, „den Zumutungen der freien Marktwirtschaft die eigene Version von Bescheidenheit entgegenzustellen“.
Alexander Musik
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