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Gefunden: 1 Lehrstelle

■ Ausbildungsmisere in Zahlen: Fast 120.000 Schulabgänger suchen eine Lehrstelle. In Potsdam geht eine Mitarbeiterin des Arbeitsamts für sie in Betrieben Klinkenputzen Aus Brandenburg Annette Rogalla

Gefunden: 1 Lehrstelle

Margit-Ute Obst hat ihre Erfahrungen bei der Suche nach einer Lehrstelle gemacht. „Mich stimmen die Absagen sehr traurig“, sagt die 50jährige. Trotzdem sucht sie weiter. Margit-Ute Obst ist Sachbearbeiterin in der Berufsberatung des Arbeitsamtes von Potsdam. Es ist ihr Job, Ausbildungsplätze zu finden. Und weil Lehrstellen Mangelware sind, geht sie Klinkenputzen.

Der „Überraschungsbesuch“ bei der Firma für Flüssiggasgeräte ist auf neun Uhr terminiert. „Ich komme vom Arbeitsamt und möchte über Lehrstellen reden.“ Geschäftsführer Jens Thiele bittet an den weißen Resopaltisch. Und doziert über die schwierige Situation. Nach der Wende seien Gasgeräte prima gelaufen, seiner Firma gehe es nicht schlecht. „Wir vergeben sogar noch Fremdaufträge.“ Ideale Voraussetzungen, um auszubilden. Mitnichten. Seit 1991 wurden über 40 Arbeitsplätze abgebaut, von 65 auf 21. Vor drei Jahren betreute Jens Thiele noch vier Azubis. Heute, nach erfolgreicher Rationalisierung, sieht die Lage anders aus: „Unsere Produktion läuft so eng, da würde ein Lehrling nur stören.“ Denn der kostet Zeit, Geld und erwirtschaftet nicht viel. Nur schwach versucht Margit-Ute Obst den Einwand zu entkräften. „Sie würden sich ihre eigenen Spezialisten ausbilden.“ Jens Thiele hält dagegen. Seine Arbeiter seien durchschnittlich 35 Jahre alt. Einen echten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften kennt die Branche nicht.

Allein im Arbeitsamtsbezirk Potsdam suchen noch gut 1.000 junge Menschen nach einem Ausbildungsplatz. Empfindet Thiele nicht die moralische Verpflichtung auszubilden? „Im Prinzip ja, aber ich würde keine Ausbildung ordentlich und sauber abfahren können.“ Thiele will sich nicht herausreden. Aber die Bemerkung, er vergebe Aufträge an Behinderten- und Knastwerkstätten und lasse nicht in Tschechien oder Polen produzieren, muß er doch noch loswerden. Margit-Ute Obst versteht. „Tja, dann bedanke ich mich, daß Sie mich empfangen haben.“

Auf zum nächsten. Eine kleine Schmiede. Ausgebildet wurde hier noch niemand. In der DDR durfte Senior Katz nicht, heute kann er nicht. Im nächsten Jahr will er sich zur Ruhe setzen. Den Betrieb soll sein Schwiegersohn übernehmen. Ob Steffen Waschkowitz ausbilden will? „Wer sich auf einen Azubi einläßt“, hat er in der Meisterschule gelernt, „der muß sich auf das Allerschlimmste gefaßt machen. Sie verschlafen, muffeln vor sich hin, sind widerspenstig, faul, geldgierig und schlagen über die Stränge.“ Das heikelste aber sei: „Egal, wie die drauf sind, du mußt mit ihnen sprechen. Auch wenn denen nur eins hinter die Ohren gehört.“ Trotzdem will der Juniorchef in spe einen Schmied ausbilden, in zwei Jahren, wenn er 32 geworden ist und den Meisterbrief in der Tasche hat. Frau Obst drückt ihm eine Broschüre für Ausbilder in die Hand.

Ihre Suche scheint erfolglos. Sie blättert in ihrer Handakte. Die Zahlen bescheinigen der Region um Potsdam wirtschaftliche Stabilität. In diesem Jahr drängen hier 13 Prozent mehr Jugendliche auf den Ausbildungsmarkt als im Jahr zuvor, die Lehrstellen nahmen um 18 Prozent zu. Es wird nicht reichen. Ein paar Kilometer weiter östlich sind Ausbildungsplätze knapp wie nie. Das Arbeitsamt Brandenburg meldet zwei Prozent mehr Lehrstellenbewerber, aber 43 Prozent weniger Stellen. Dort macht sich vor allem das Fehlen der alten Kombinate bemerkbar, die jährlich Tausende Facharbeiter ausbildeten.

Das Land Brandenburg ist abgewrackt. Es existieren nur noch acht Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten, zwölf haben zwischen 500 und 1.000, etwa 150 bewegen sich zwischen 150 und 500 Mitarbeitern. Ungefähr 6.600 Betriebe fallen in die Kategorie der Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern. Sie haben in den vergangenen Jahren die Last der Berufsausbildung getragen. Nun sind sie an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt. Die Lage ist katastrophal.

Konkrete Hilfe benötigt Cordula Skirta-Arndt. Im Schuppen hinterm Haus richtete sie sich vor einem Jahr eine Werkstatt ein. Sie bemalt Bauschilder, verziert Autos mit Schriftzügen und graviert mit dem Sandstrahl Ornamente in Spiegel und Gläser. Von zehn Bewerbern hat sie sich für Doreen Schatle entschieden. Die 19jährige will ihr zukünftiges Architekturstudium auf eine solide Grundlage stellen. Weil sie als Bauzeichnerin keine Ausbildungsstelle fand, kam sie auf die Idee, sich als Gebrauchsgrafikerin ausbilden zu lassen. „Nach der 20. Absage habe ich mir gesagt: Hauptsache eine Lehrstelle, egal was.“ Fast egal ist auch, daß Cordula Skirta-Arndt nicht jeden Monat pünktlich zahlen können wird. „Ich habe noch keine geregelten Einnahmen“, bedauert die Jungunternehmerin.

In solcher Lage müßte Margit- Ute Obst eigentlich zur Vorsicht mahnen. Sie wirbt mit Fördergeldern. Das Land bezuschußt eine Lehrstelle für Frauen mit 7.000 Mark. „Auch wenn's schwer wird, probieren Sie es.“ Noch zögert Cordula Skirta-Arndt: „Ich habe große Angst, ob ich die drei Jahre durchhalten werde.“ Aber versuchen will sie es. Schließlich suchen im nächsten Jahr zwei ihrer Kinder eine Ausbildung.

„Einen Auszubildenden zu nehmen ist wie ein Kind adoptieren.“ Margit-Ute Obst strahlt. Ein halber Tag warten und werben hat sich gelohnt.

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