Zwei Herzen im Aufbautakt (Ost)

Revolutionskater für den Rest des Lebens, gewissermaßen: In der Volksbühne inszenierte der nach Hannover abwandernde Andreas Kriegenburg Heiner Müllers „Zement“ mal didaktisch pur und mal poetisch niedriggehängt  ■ Von Petra Kohse

Zement, das war ihr letztes Wort, dann trug sie die Musike fort. Ungelogen, so war's. Und dann Vorhang. Sergej Iwagin und Polja Mechowa, das Pärchen in der Not. Beide so überzeugt und dann doch von der Partei ausgeschlossen – Schicksal, aber so kommt man zusammen. Stephan Richter drollig im Kurzstrampler für Männer und Olivia Grigolli mit einem Gesicht, so zart und augenberingt, wie es nur eine echte Revolutionärin haben kann. Jetzt aber nennen sie sich Bürger und Bürgerin statt „Genosse“ und tanzen gar. Zement, zwei, drei. Im Rücken gewissermaßen die Ruinen von Europa: grüngestrichene Tonnen, umgeworfen, so daß man die klebrigen Reste der Revolution herauskratzen könnte. Wenn man wollte.

Das kann er, Andreas Kriegenburg, der ehemalige Hausregisseur der Volksbühne, der mit seinen 33 Jahren gelassen genug ist, vor der Premiere im Foyer herumzuspazieren. Nach einer mehr oder minder heimatlosen Spielzeit hat er seine Koffer jetzt eigentlich schon in Hannover ausgepackt, und man möchte ihm noch mal eine Träne nachweinen, weil er die Dinge so poetisch niedrighängen kann. Bei ihm sitzen Liebespaare schlaff am Bühnenrand und baumeln mit den Beinen. Und dann guckt einer den anderen im unpassenden Moment an, und man weiß, das wäre vielleicht eine Leidenschaft. So eine Szene gab es auch hier am Ende. Davor aber andere.

Heiner Müllers „Zement“, das am Donnerstag in der Volksbühne Premiere hatte, ist ein Stück, das die Tragik der Revolution zeigt. Konterrevolutionär also. 1973 entstanden nach einem Roman von Fjodor Gladkow aus dem Jahr 1921. Wie Tschumalow nach Hause kommt nach dreijähriger Abwesenheit im Dienste der revolutionären Sowjetmacht. Und wie diese revolutionäre Sowjetmacht in der örtlichen Zementfabrik mittlerweile die Birken herrschen läßt. Feuerzeuge werden hier jetzt gebastelt, mehr nicht. Und wie Tschumalows Frau Dascha sich anderweitig getröstet hat, hart geworden ist an der Frauenfront und das Kind ins Heim gegeben hat. Und wie überhaupt nichts mehr ist, wie es einmal war.

Aber Tschumalow, ein ganzer Mann, votiert für den Aufbau Ost. Behörden sind für ihn nur Behörden, und er bekommt wirklich die Papiere, die er braucht, um das Zementwerk wieder in Schwung bringen zu dürfen. Aber um welchen Preis am Ende. Dascha ist weg, ein Mann hat seinen Bruder erschossen, die Partei eliminiert die, die für die Sache glühen (siehe oben), die Sowjetrepublik nimmt ihren Lauf. Dazwischengeschnitten Antikisches in Prosa. Etwa die widerwillige Errettung des nach Adlerkot stinkenden Prometheus durch den nach Augiasstall stinkenden Herakles. Mülleruntypisch lustig und unverhohlen didaktisch. (Der Mensch lebt unterm Joch juchhe, und das freiwillig, und eine Krähe ist so wie die andere.)

Ursprünglich wollte Kriegenburg das Ganze ins Jahr 2921 verlegen und die „Abenteuer der postapokalyptischen Raumpatrouille ,USS Heiner Müller‘“ zeigen. Daraus wurde leider nichts. Überhaupt zieht sich der Regisseur die ersten zwei der drei Stunden weitgehend hinter das Stück zurück.

Am Anfang allerdings ist der Birkenwald in der Zementfabrik rot und grün beleuchtet, Nebel wattet über den Boden, und die Hoffnung ist unser. Dann aber geht's voran wie im Buch. Zwar springt Kriegenburg ein bißchen durch die Zeiten, läßt die Figuren mal in orangebraunen Mustern der Siebziger auftreten, mal sich Zwirn der Französischen Revolution überstreifen, aber ins Heute gelangt er damit nicht.

Wohl hält Gerd Preusche als Funktionär hübsche Preusche- Töne bereit und am Ende einen riesigen roten Stern als Lolly in der Hand, auch slapstickt es zuweilen gehörig, aber was Kriegenburg so wunderbar kann, Geschichten zwischen Menschen über ihren körperlichen Kontakt erzählen und Situationen durch irrationale Ausfälle erklären, das schimmert erst am Ende auf. Einmal wird sogar, als wäre man im Berliner Ensemble in einer minderen Produktion, Text einfach abgelesen, gähn.

Cornelia Schmaus als Dascha und Roland Koch als heimkehrender Aktivist Tschumalow sind das Paar, das keines mehr sein kann. Kammerspiel menschlicher Entfremdung, okay, aber beliebig. Nur einmal, als Tschumalow mit den Papieren fürs Zementwerk nach Hause kommt, da kommt Koch als olympischer Läufer, der das Feuer entzünden will, comichaft begeistert in die Stube gehastet. Doch die Schale steht nicht bereit, Dascha bemerkt ihn kaum, beider Kind ist gestorben, wahrscheinlich im Heim verhungert.

Manchmal klingt alles wie die Synchronisation eines französischen Fernsehfilms aus den Siebzigern. Das ist seltsam. Musik von Tom Waits, Miles Davis oder Ry Cooder sorgt für andere Stimmungen, auch auf der Bühne selbst wird musiziert.

Nach der Pause wird die Inszenierung freier. Haltlose Gestalten im Irgendwann trommeln die Parteiaktivisten einfach von der Bühne, Teile kommender Texte werden auf Kassette schon vorher mal abgespielt, Müdigkeit herrscht, mehr noch: ein Revolutionskater für den Rest des Lebens, nur ab und zu tänzeln Preusche und Koch als Parteigänger vorbei. Auch das ist keine Erleuchtung, weiß man doch satt vom Ende jeglicher Utopie, aber hier malt Kriegenburg die Stimmung so aus, daß man auch über sich selber dabei lacht. Und natürlich die schöne Schlußszene zwischen den beiden, die draußen bleiben müssen, als die Einweihung des Zementwerks begossen wird.

Zement, das war ihr letztes Wort, dann trug sie die Musike fort. Sergej und Polja: Zwei Herzen im Aufbautakt, auch wenn sie offiziell gestorben sind. Das ist's: ein kleines Trotzdem, auch wenn man nicht weiß, wozu.

Nächste Aufführungen: Heute und 14.9., 19.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte