: Der Ire an sich ist kein Bergvolk Von Ralf Sotscheck
Der Ire an sich sei kein Bergvolk, meinte ein Kollege neulich. Wäre er vorige Woche am Croaghaun- Berg auf der Insel Achill vor der Westküste Irlands gewesen, hätte er seine Meinung vermutlich schnurstracks revidiert. Da krabbelten jede Menge Iren und Irinnen auf dem 630 Meter hohen Hügel in der Grafschaft Mayo herum und ließen keinen Stein auf dem anderen. Freilich verriet niemand das Motiv für diese ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung. Man habe schon immer da oben hinaufgewollt, weil man die großartige Sicht über den Atlantik genießen wolle, hieß es lediglich.
Der wahre Grund ist ein kleiner rosaweißer Zettel: Im Inselörtchen Keel hat der Postmeister Michael O'Malley vorletztes Wochenende einen Lottoschein angenommen, der am nächsten Tag mehr als zwei Millionen Pfund gewann. Eingelöst hat ihn bisher jedoch niemand. Aber seitdem ruft täglich ein junger Mann an und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Er behauptete am Telefon, er sei der rechtmäßige Gewinner. Das Ticket sei ihm jedoch aus der Hosentasche gerutscht, als er mit seiner US-amerikanischen Freundin lauschig im Heidekraut auf dem Croaghaun lag.
„Bergbums kostet Lotto-Klotzkopf zwei Millionen Pfund“, titelte die Sun einfühlsam auf der ersten Seite. Das Pärchen habe eine Pension am Fuß des Croaghaun auf den Kopf gestellt, schreibt das Blatt, weil die Frau „angeblich ihren Ring verloren“ habe. Das weiß die Sun natürlich besser: „In der Hitze des Gefechts fiel ihm der Lottoschein aus der Hosentasche“, feixt der Schreiber.
Postmeister O'Malley traut der Geschichte nicht: „Das ist wahrscheinlich ein Ablenkungsmanöver des Gewinners“, vermutet er, „der nicht will, daß die Nachbarn von seinem Glück erfahren, weil sie sonst bei ihm vor der Tür Schlange stehen würden.“ O'Malleys Skepsis ficht die Achill-Insulaner jedoch nicht an, sie klettern wie die Bergziegen in der Heide herum. „Der soll eine Belohnung von 500.000 Pfund aussetzen“, schlug einer vor, „dann würden Hunderte von kräftigen Inselbewohnern ganz Achill für ihn durchkämmen.“
Das tun sie ohnehin schon, so scheint es. Abends im Pub von Keel sitzen Dutzende von Männern, denen die Torfsoden noch an den Füßen kleben. Heinrich Böll, der sich später ein Cottage in Dugort kaufte, hatte in Keel gewohnt, als er für sein „Irisches Tagebuch“ recherchierte. Er beschrieb die Insel so: „Ein Dorf, zwei Meilen Moor, ein Dorf, drei Meilen Moor, eine Kirche, fünf Meilen Moor, ein Dorf, zwei Meilen Moor, eine Kirche, die Tankstelle, Teddy O'Malleys Bar, Becketts Laden, drei Meilen Moor.“
Der Postmeister glaubt, daß die Torfköpfe ihre Zeit verschwenden. „Es gibt zur Zeit so viele Gerüchte, wie es Wellen im Ozean vor unserer Küste gibt“, philosophiert O'Malley. „Ich wette, es ist einer aus Achill, der am kommenden Wochenende nach Dublin zum großen Finale im gälischen Fußball fährt. Gewinnt Mayo gegen Meath, was zweifellos der Fall sein wird, kann er sich am nächsten Tag seine zwei Millionen Pfund in der Hauptstelle in Dublin abholen und gen Westen dem Sonnenuntergang entgegenreiten – kein Hahn in Mayo wird danach krähen, wenn unsere Jungs zur selben Zeit mit dem Pokal zurückkehren.“
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