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Für immer Heimweh

Tapfere, schwermütige Heiterkeit: Freddy Quinn, der Sänger der existentiellen Geworfenheit, Held der Davongekommenen, auf Tournee  ■ Von Jan Feddersen

Im Frühjahr litt er wohl wieder unter Heimweh. Also ging er nach Hause, auf die Bühne, stellte sich vor zerschlissene Kulissen und war nichts als Freddy. Müder Beifall. „Ich brauche die Bühne wie die Luft zum Atmen“, antwortete Freddy Quinn einem Reporter in den siebziger Jahren, als schon damals nur noch Ältere von ihm etwas wissen wollten und er erklären sollte, weshalb er trotz guter Rente immer noch durch die Lande tingelt: „Heimweh nach St. Pauli“. Quinn kann es immer noch nicht lassen. Auch zu seinem 65. Geburtstag am 27. September, angelegentlich seines 45jährigen Bühnenjubiläums, wird er sich wieder zeigen und die alten Nummern schieben. Er wird sein heiser-verschluchztes Timbre anschlagen und singen von den Zeiten auf St. Pauli, auf hoher See und den einsamen Stunden dazwischen.

Immerhin, das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird sich nicht zu schade sein, einen wie ihn, den noch vor Roy Black erfolgreichsten deutschen Schlagersänger der Nachkriegszeit zu würdigen. Eine Jubiläumssendung wird es sein, eine mit elf neu arrangierten Liedern. Das ihm verbliebene und treu ergebene Publikum wird schwelgen und sich darin bestätigt fühlen, daß auch bei einem wie Freddy Quinn irgendwann der Lack abzublättern beginnt. Es wird sich wohlig räkeln und an einen seiner bekanntesten Songs denken: „Schön war die Zeit“.

Sein Erfolg hat viel mit jener Zeit zu tun, als sich Westdeutschland das Wirtschaftswunder bestellte und Gefühle von Trauer und Verlust nur ungern zeigte, schon gar nicht öffentlich. Die Unterhaltungskünstler jener Tage waren auf Frohsinn und Albernheiten abonniert („Egon“, „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“) oder seit der Mitte der fünfziger Jahre damit beschäftigt, die neuen Töne aus den USA (Presley & Co.) auf Deutsch umzustricken.

Genau zwischen Peter Kraus und Bully Buhlan, zwischen der kleinen Conny (Froboess) und Renée Franke fehlte einer, der von dem singt, was die Menschen bedrückt. Es brauchte einen, der der Deutschen liebsten Gemütszustand, eine Art tapfere, schwermütige Heiterkeit, bedient.

Freddy Quinn paßte genau in diese Marktlücke hinein. Sein erster Hit hieß „Heimweh“, die deutsche Fassung des Dean-Martin- Klassikers „Memories are made of this“, und war nur die B-Seite der Platte, von der angenommen wurde, daß „Sie hieß Mary Ann“ in den Radios und Jukeboxen laufen würde. Und eigentlich sollte René Carol („Kein Land kann schöner sein“) das Lied singen, doch der war unpäßlich.

So bekam jener Mann die Chance, der schon während der drei Jahre zuvor in der Washington-Bar im Hamburger Hafenstadtteil St. Pauli mit Gitarre und Troubadourflair auftrat. „Heimweh“, am 12. Mai 1956 auf Platz 1 der Verkaufslisten, erwies sich als Kassenschlager. Die Legende will, daß ein Radiomoderator des Bayerischen Rundfunks die Platte vor eingeschaltetem Mikrophon zerbiß – und die Zuhörer empört gegen diesen Kommentar protestierten. Acht Millionen Mal wurde das Stück bis heute verkauft.

Offensichtlich traf das Lied den Zeitgeschmack perfekt. Freddy Quinn war fortan ein Star, der sich wie kein anderer – bis zu Roy Black – verkaufte. Kein Lied, das nicht in den Hitparaden landete. Immer wieder servierte er Material des gleichen Genres: Ob nun „Heimatlos“, „Ich bin ein Vagabund“, „Die Gitarre und das Meer“ oder „Junge, komm bald wieder“ – stets waren es Songs, die um Themen wie Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Verlorenheit und In- die-Welt-Geworfenheit kreisten, dabei immer leise Anflüge eines Rebellentums transportierten, ohne daß genauer bekannt war, wogegen Freddy Quinn sich eigentlich auflehnte.

Freddy Quinn war der Schlagerchronist der Nachkriegszeit: Er paßte einfach in eine Stimmung, die von 68 ebenso weit entfernt war wie von 45 – sentimental bis zur verbissenen Weinerlichkeit. Bravo notierte die Verehrung akribisch, Leserinnen schrieben, daß er so männlich wirkt und zugleich auch zart und gebrechlich. Kein Schmuser, kein Gigolo, nie elegant, meist eine Spur zu pathetisch und ernsthaft, ein Sänger der Vertriebenen wie derjenigen, die ihre Söhne im Krieg verloren.

Das Volk dankte ihm auf angemessene Weise: 40 Millionen Tonträger kaufte es, machte ihm 13 Goldene Schallplatten möglich, verlieh ihm acht Goldene Löwen von Radio Luxemburg und darüber hinaus zwei Goldene Ottos von Bravo.

Zwar gab es auch andere Sänger, die ähnlichen Stoff präsentierten, doch Freddy Quinn war erstens wirklich Musiker und dabei ein Könner und war zweitens, wichtiger noch, am glaubwürdigsten: unehelicher Sohn einer Wiener Journalistin, Jahre beim leiblichen Vater in Amerika (!) gelebt, in Österreich wieder ausgerissen, Fremdenlegion, Casablanca, Frankreich, Tramp, Träumer und Vagabund – alle Stichworte hat er auch wirklich bedient. Ein Getriebener also – das konnten ganz viele Menschen nachfühlen.

Mitte der sechziger Jahre hatte Quinn seinen Zenit längst überschritten. Gegen den neuen Beat hatte er nichts mehr zu bestellen. 1968 verscherzte Freddy es sich mit den wirklich Rebellierenden: Sein Lied „Hundert Mann und ein Befehl“ wurde zu Recht als Huldigung des US-Engagements in Vietnam verstanden, und sein Song „Wir“ machte sich gemein – er sang unter anderem von „Gammlern“ – mit den Stammtischen der Republik.

Seither tourt Freddy Quinn als ewiger Sohn, Kumpel und Kollege durch die Lande, mal als Zirkusartist, dann wieder als „Sailor“ oder Clown. Unsere Eltern und Großeltern werden seinen Geburtstag feiern. Es ist an ihren Kindern, sie dabei nicht auszulachen und in Frieden zu lassen.

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