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Familientreffen der Geretteten

Vor 17 Jahren rettete das Komitee Cap Anamur Tausende flüchtender Vietnamesen aus dem offenen Meer. Am Wochenende feierte Rupert Neudeck mit ihnen das Jubiläum  ■ Aus Troisdorf bei Bonn Isabel Fannrich

In ihren besten Anzügen sitzen die Männer auf dem asphaltierten Platz in Troisdorf. Die Vietnamesen haben sich im Schneidersitz um Bierdosen und ihren Imbiß aus gebratener Ente und fritierten Schweineohren herumgruppiert. Sie unterhalten sich, scherzen: „Hallo, Nummer siebzehn!“ Nicht um ehemalige Knastbrüder oder einen Sitzstreik handelt es sich hier, sondern um das fünfte Bundestreffen der in der Bundesrepublik lebenden Vietnamesen.

Der Grund: In den siebziger und achtziger Jahren rettete das Komitee Cap Anamur knapp 10.000 Menschen bei ihrer Flucht aus Südvietnam, das Schiff der Organisation holte die Flüchtlinge von ihren Booten auf dem Südchinesichen Meer.

Am Samstag feierte das Komitee 17jähriges Jubliäum im Bürgerhaus Troisdorf, einer Kleinstadt bei Bonn. Neben dem Transparent von „Cap Anamur. 1979 bis 1996“ weht die südvietnamesische Fahne mit drei roten Streifen auf gelbem Grund. Es herrscht reges Treiben, denn weit über 2.000 Menschen sind der Einladung von Rupert Neudeck, dem Kopf von Cap Anamur, gefolgt. Ein Meer schwarzer Köpfe im großen Festsaal, auf dessen Bühne von mittags bis Mitternacht buntes Programm geboten wird. Alle Generationen sind hier beisammen, viele kamen von weit her angereist, um nach dem letzten Bundestreffen von 1994 die Schicksalsgenossen und Verwandten wiederzutreffen. Auffallend groß ist die Zahl junger Familien und kleiner Kinder.

„Wir sind eine große Cap-Anamur-Familie“ beschwört Rupert Neudeck das ohnehin vorhandene Gemeinschaftsgefühl. Kaum jemand sitzt allein da. Die Stimmung ist feierlich, denn tatsächlich wären diese vielen Menschen heute nicht in Troisdorf, hätte Neudeck nicht 1979 in einer Spontanaktion auf die Massenflucht aus Südvietnam reagiert.

Mit einigen Freiwilligen charterte er bis 1986 das Schiff, das die vietnamesischen Boat people vor dem Ertrinken rettete. Sie haben seitdem ein Bleiberecht in der Bundesrepublik und sind mittlerweile auf eine Zahl von 30.000 Menschen angewachsen.

Es regnet förmlich Beifall und Geschenke, als Neudeck und Lew Kopelew den Deutschen für ihre Spendenbereitschaft danken und betonen, wie gut die Vietnamesen hier integriert seien. „Das Bild der Vietnamesen wird derzeit durch die Meldungen über die Zigarettenmafia verdunkelt und verdreckt“, empört sich Neudeck, „die Bootsflüchtlinge haben mit diesen Morden nichts zu tun, und auch die Vertragsarbeiter, die von der Ex-DDR aus Nordvietnam geholt wurden, haben nichts damit zu tun.“

Auch Nguyen Huan, Organisator des Treffens, beschwert sich: „Seit dem Mauerfall gucken mich die Deutschen in Hamburg anders an. Sie haben vergessen, wie gut integriert wir Vietnamesen als Ärzte, Ingenieure und Geschäftsleute sind. Den heutigen Tag sehe ich als Appell gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit.“

Wie sehr sich die Boat people mit dem Verlust ihrer Heimat und ihrem Schicksal beschäftigen, wird den ganzen Tag über sichtbar: Auf der Bühne sind traditionelle Tänze und Kostüme zu sehen. Doch über das Schicksal der „anderen“ in der Bundesrepublik lebenden Vietnamesen wird offiziell nicht geredet. Dabei steht nach dem 1995 geschlossenen Rückführungsabkommen die Abschiebung von bis zu 40.000 Menschen nach Vietnam bevor. Es sind Vertragsarbeiter aus den neuen Bundesländern, deren Verträge ausgelaufen sind, und Asylbewerber aus dem ehemaligen Ostblock.

„Die haben andere politische Vorstellungen als wir“, erklärt Linh Nguyen, die Ende der siebziger Jahre aus Südvietnam geflohen ist. „Sie kommen aus dem kommunistischen Vietnam.“ Ihrer Ansicht nach werden die Bundestreffen aber zunehmend unpolitischer: „Die Ost-West-Spannung ist nicht mehr da, die Erinnerung an Vietnam ist entweder verblaßt, weil man sich hier etabliert hat, oder aber die Sehnsucht nach Vietnam wird durch kurze Reisen gestillt.

Die Feiernden spenden an diesem Nachmittag für ein von Cap Anamur aufgebautes Kinderkrankenhaus in Grosny über 6.000 Mark. Auch ein von Rupert Neudeck vorbereiteter Brief an Kanzler Kohl wird unterschrieben mit der Bitte, Boris Jelzin wegen seiner Tschetschenien-Politik den Kopf zu waschen.

Viele Gedanken an Vietnam hängen in der Luft. Die verbotene Volkspartei Vietnam verkauft an einem Stand Bücher über den „wahren“ Ho Chi Minh, um mit dem Erlös demokratische Bewegungen des Landes zu unterstützen – ein Hoffen auf das baldige Ende des Kommunismus.

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