: „Eine Prophylaxe findet nicht statt“
■ Im Interview: GAL-Gesundheitsexperte Peter Zamory über medizinische Nichtversorgung im Knast
taz: Die GAL hält Hamburgs Häftlinge für medizinisch unterversorgt. Ist das nicht übertrieben?
Peter Zamory: Nein, leider eher untertrieben. Die Anzahl der Ärzte ist völlig unzureichend. Wenn Urlaub, Krankheit und Fortbildung hinzukommen, können kaum die Sprechstunden aufrechterhalten werden. Obwohl die Knäste wegen der vielen Drogenabhängigen mit Hepatitis B stark durchseucht sind, wurde zum Beispiel das Impfprogramm nicht beendet.
Trotz der großen Gesundheitsgefahren wurde nach unseren Erkenntnissen der Impfstoff an das Hygieneinstitut zurückgegeben. Lediglich die Bediensteten, aber nur wenige Häftlinge, wurden geimpft.
Für Risiken und Nebenwirkungen des Gefängnislebens können die Knackis also nicht den Arzt oder Apotheker fragen?
Theoretisch ja, praktisch entfällt das häufig. Prophylaxe findet nicht statt.
Was wäre die schlimmste anzunehmende Folge der Unterversorgung?
Die ist bereits passiert: Erst im vergangenen Mai ist ein Junkie an seinem Erbrochenen erstickt. Vor drei Jahren ist eine drogenabhängige Frau an den Folgen des kalten Entzugs gestorben. Die Notfallmedizin in den Vollzugsanstalten ist völlig unzureichend. Häufig ist nachts nicht einmal ein Sanitäter anwesend.
Ist das ein Verstoß gegen die Grundrechte?
Das Grundrecht auf freie Arztwahl ist hinter den Gefängnismauern eingeschränkt. Der Staat hat deshalb eine Fürsorgepflicht. Doch die wird von der Hamburger Justizbehörde unvollständig, schlecht oder gar nicht wahrgenommen.
Die mangelhafte medizinische Versorgung in den Justizvollzugsanstalten ist nicht erst seit gestern bekannt. Hat die GAL das Thema bisher verschlafen?
Wir wollten dem neuen Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem die Gelegenheit geben, sein für den Frühsommer geplantes Konzept zur Verbesserung der katastrophalen Versorgungszustände vorzustellen. Das ist zu unserer Enttäuschung nicht geschehen. Jetzt ist die Schonzeit vorbei. Wir verlangen die kurzfristige Einführung einer Patientenbeschwerdestelle und bis Ende des Jahres einen Bericht des Senats, wie er die Mißstände ändern will. Fragen: Silke Mertins
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