: "Liebe taz..." Für sozial ausgewogene Viertel - betr.: "Schwarze nicht nach Gröpelingen" und Kommentar "Beamtenmentalität", taz vom 30.8.1996
Betr.: „Schwarze nicht nach Gröpelingen“ und Kommentar „Beamtenmentalität“, taz vom 30.8.
Bremen braucht eine sozial ausgewogene Entwicklung städtischer Lebensräume. Das Amt für Soziale Dienste hat die Aufgabe angenommen, den Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung gegenzusteuern.
Für das konkrete Beispiel Gröpelingen bedeutet das folgendes: Die Gröpelinger Bevölkerung wird heute stark mit Problemen konfrontiert, die in ihrer Komprimiertheit nur schwer verarbeitbar sind.
Mittlerweile wohnen hier mehr Menschen, die mit ihrer Familie von Sozialhilfe leben müssen, als in jedem anderen Stadtteil Bremens. Zur Zeit leben hier 16,3 Prozent der Bevölkerung von Sozialhilfe. Die Erwerbslosenrate ist ebenfalls höher als im Stadtdurchschnitt, wobei hier, das ist aus der „begleitenden“ Sozialhilfe erkennbar, Langzeiterwerbslosigkeit wiederum häufiger als im Durchschnitt anzutreffen ist.
Der Anteil der MigrantInnen aus der Türkei und anderswo liegt zur Zeit bei 20 Prozent.
Der Wohnraumbestand ist teilweise in schlechtem Zustand. Die Infrastruktur läßt eine wohnungsnahe Versorgung mit Gütern über den täglichen Bedarf hinaus nicht mehr zu. Die Kriminalitätsrate ist ebenfalls überdurchschnittlich hoch.
Es ziehen hier, oft auf kleinem Raum, unterschiedliche, in sich jedoch weitestgehend homogene Gruppen von Menschen zusammen. In Folge der durchaus gewollten Gruppenprozesse entstehen neue Isolierungen.
Dies sind Prozesse, die weit über ein gewohntes nachbarschaftliches Miteinander hinausgehen, im Grunde diese Formen des Zusammenlebens aufsprengen. Isolierung und Abschottung ist die Folge. Die teilweise auch altansässigen Menschen in diesem Stadtteil müssen sich immer wieder erneut mit Gruppen von Menschen, die sich durch ihre Andersartigkeit auszeichnen, auseinandersetzen. Die Kluft zwischen den verschiedenen Gruppierungen wächst, die ohnehin schwach ausgeprägte Konsensfähigkeit nimmt weiter zu, integrierende Instanzen verlieren an Bedeutung. Aus dieser Spaltung erwachsen konkurrierende, sich bekämpfende und bedrohende Grüppchen und Subkulturen.
Auf der indivduellen Ebene machen diese Erscheinungsformen Angst, und diese Angst verhindert wiederum ein Aufeinanderzugehen und somit Integration. Hier wollen wir uns dazwischensetzen, mit den Möglichkeiten des Amtes gegensteuern.
Was ist zu tun?
Die oben gemachte Aufzählung zur Situation im Stadtteil ist unvollständig und macht nur im Ansatz deutlich, daß hier zugegeben in Folge der Rahmenbedingungen wie zum Beispiel „hohe Arbeitslosigkeit“, „Selektion auf dem Arbeitsmarkt“, „Kasernierung von Asylsuchenden“ und Versäumnissen der Bundespolitik der Versuch unternommen werden muß, auf kommunaler Ebene den Stadtteil zu entflechten und gleichzeitig mit begleitenden Angeboten mehr Lebensqualität zu erreichen.
Integration und Zusammenleben mit andersartigen und andersdenkenden Menschen ist eines der höchsten Güter innerhalb eines demokratischen Gemeinwesens. Beide Werte können nicht verordnet werden. Voraussetzung für ein Leben dieser Grundhaltung ist Kommunikation, Wissen über den anderen, Möglichkeiten Gemeinsames zu entdecken, Konflikt- und Konsensfähigkeit.
Es gilt einen solchen Prozeß verantwortungsbewußt zu steuern. Wenn dies sozialpolitisch verantwortungsvoll geschieht, ist jeglicher Vertreibungsprozeß ausgeschlossen. Es kann also nur um eine Steuerung des Zuzugs gehen.
In einem Einzelfall wird deutlich, daß die uns zur Verfügung stehenden Instrumente, zum Beispiel das Sozialhilfegesetz, keine geeigneten sind. Selbstkritisch gilt: Das BSHG ist kein Instrument der Steuerung. Die sozial ausgewogene Entwicklung von Stadtteilen darf nicht allein auf Sozialhilfesachbearbeiter delegiert werden. Hier ist ein sozialpolitischer Diskurs aller Akteure erforderlich.
Wir brauchen einen politischen Rahmen, der uns eine solche Steuerung ausgewogen und demokratisch legitimiert erlaubt. Es gilt Instrumente zu schaffen, die die Lebensqualität spürbar verbessern und zwar für alle dort lebenden Frauen, Männer und Kinder. Wir haben die feste Absicht, auch weiterhin unseren Einfluß hier geltend zu machen. Dazu sehen wir keine Alternative.
Dr. Herbert Wiedermann, Amt für Soziale Dienste
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