: Schlabberige Cordhosen knattern im Wind
■ Auf dem Clear-Label baut Dr. Rockit Elektropop-Exzentrik zu Clubhits um
Wenn der superdünne Dr. Rockit in seinen schlabberigen Cordhosen durch einen Club schlurft, fühlt man sich eher an eine Wohltätigkeitsversammlung mit angeschlossenem Kleiderbasar erinnert, als an die Gangart eines Popstars. Von diesem klapprigen Nichts von DJ soll die fein ausgetüftelte Musik stammen, die mit Eleganz und wie in Superzeitlupe ständig in sich zusammenstürzt? Nein, dieser Mann ist nur verkleidet, denkt man – um spätestens nach dem vierten Durchlauf des Gezirpes süchtig zu werden.
Dr. Rockits angeschmuddelte Undercover-Klamotten veralbern das Publikum auf die gleiche verdrehte, doch stets elegante Art wie sein Geheimer-als-geheim-Hit „How do you do“. Ein eher scherzhaft gemeinter Gruß, höchstens die Andeutung einer halbwegs ernsthaft gemeinten Kommunikation mit dem Hörer. Peng, mal schnell das Internet abfackeln gehen und aus den Trümmern Tosen zaubern – und das als Pop verkaufen. Klingt irgendwie unfertig, unsauber, wie ein stotternder Kurzschluß, kurz: wie die sehr eigene, mitunter grandios vorgegaukelte Metapher vom endgültigen Zusammenbruch einer immer noch konkret und narrativ ausgerichteten Popwelt.
Dr. Rockit ist nur einer der vielen unheimlichen Wundertüftler von Clear-Records. Andere Clear- Künstler wie Clatterbox oder plaid sind zwar musikalisch nicht unter einen Hut zu bringen, haben aber doch eines gemeinsam: Ihre Stücke kommen aus der Haifischbar schwarzen Humors. Englische Exzentriker des Elektrogags, ohne Verständnisprätention. Love it or leave it.
Clear-Stücke klingen ein wenig, als hätten die Bastler sich vor der Aufgabe gesehen, aus dem digitonalen Info-Crash abgestürzter Computerprogramme so etwas Anspruchsvolles wie einen erfolgreichen Londoner Clubhit zaubern zu müssen – lieferbar in den nächsten eineinhalb Stunden. Das macht Streß, aber auch Laune, und das ist, übrige Welt hin oder her, manchmal nur in abgeramschten Cordhosen zu schaffen. Besonders, wenn man Dr. Rockit heißt.
Doch Dr. Rockit heißt manchmal gar nicht Dr. Rockit, sondern Herbert. Dann wird sein Humor auch gleich kontinental, wenn auch nicht uncharmant. Dann produziert er für ein anderes Label und komponiert gut durchstrukturierte, reif abgehangene, clevere House-Hits.
Dr. Rockit braucht seinen Herbert dringend, die regelmäßige Betätigung im gehobenen Dancefloor-Segment ist für ihn willkommener Ausgleich, ist Party, Disco, relaxte Öffentlichkeit statt isolierter Heimarbeit. Sonst würde er womöglich im Schlafzimmerstudio bis zum Verrücktwerden zufallende Wohnzimmertüren oder rauschende Klosettspülungen sampeln. Und das wäre nicht mehr im Sinne der Schönheit des Dauerrauschens englischer Wasserhähne – und damit nicht mehr im Sinne der Clear-Philosophie.
So aber bleibt er uns in beiden Teilen seiner Persönlichkeit erhalten, und irgendwann, wenn mal wieder Waschtag ist, wird er auch noch das Knattern seiner Cordhose im Wind sampeln. Jede Wette. Andreas Bach
Dr. Rockit: How do you do (Maxi; Clear-Records)
Herbert: Parts one two and three (phono)
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