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Steueroase für Reiche

Das deutsche System begünstigt sehr die Hinterziehung von Steuern  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Die Klagelieder über die hohe Steuerbelastung in Deutschland gehen am Kern der Sache vorbei. In Wahrheit zahlen die Reichen und Superreichen selbst in den Vereinigten Staaten mehr als hierzulande. Das Gerede von den niedrigeren Steuern in den USA sei „barer Unfug“. Tatsächlich schone das amerikanische Steuersystem die Besitzenden weniger als das deutsche, sagte Lorenz Jarass, Professor an der Fachhochschule Wiesbaden, beim Hearing der bündnisgrünen Landtagsfraktion zur Steuerhinterziehung am vergangenen Freitag in Düsseldorf.

Wenn jetzt die Bonner Regierung auch noch die wenig manipulierbaren Vermögens- und Gewerbekapitalsteuern abschaffen wolle, dann werde dadurch „die Steuerhinterziehung weiter erleichtert“. Jarass' Zahlen klingen verblüffend: Bei einem Immobilienwert von 7.000 Milliarden Mark sei das gesamte Einkommen, das in Deutschland aus aus Vermietung und Verpachtung erzielt wird, „deutlich negativ“. Weil dieser Verlustbetrag – anders als in den USA – mit den Einkommen aus Löhnen, Honoraren, Zinsen, Dividenden und so weiter verrechnet werden dürfe, betreibe das Steuerrecht eine „gigantische Subventionierung der Besitzenden“.

Zu diesem Befund paßt eine aktuelle Meldung des Düsseldorfer Landesamts für Statistik. Demnach ist die Zahl der Einkommensmillionäre in Nordrhein-Westfalen innerhalb von drei Jahren um 35,3 Prozent auf fast 7.300 gestiegen. Elf dieser Bestverdiener, die 1992 mehr als eine Million Mark verdienten und für die normalerweise der höchste Steuersatz von 53 Prozent fällig geworden wäre, zahlten nicht eine einzige Mark Einkommenssteuer.

Wer nicht ausreichend legale Verluste für seine Steuererklärung zu produzierem weiß, dem helfen die Banken weiter. Legal, illegal – scheißegal. Nach dieser Devise gingen die Banker ihren wohlhabenden Kunden in den letzten Jahren im Kampf gegen die dreißigprozentige Zinsabschlagssteuer zur Hand. Nach zahlreichen Durchsuchungen, Geständnissen von Insidern und monatelanger Auswertung von Zigtausenden von verschlüsselten Belegen wissen inzwischen auch die Steuerfahnder, wie der Deal funktioniert. Mit Hilfe von anonymisierten Referenzkonten und fingierten Barauszahlungen wurde Kapital in Milliardenhöhe vor allem zu den Banktöchtern in Luxemburg verschoben. Nicht zuletzt die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf, die letzte Woche im Fokus der Steuerfahnder stand, war dick drin in dem großen Geschäft.

Fahnder erwarten in den nächsten Wochen eine „weitere Welle von Ermittlungen“. Gut 17.000 Verfahren laufen schon. Allein die Ermittlungen im Umfeld der Dresdner Bank haben nach Angaben von Meinolf Guntermann, dem stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Steuergewerkschaft in NRW, ergeben, daß pro Fall im Durchschnitt mehr als 300.000 Mark Steuern hinterzogen wurden.

Riesige Vollzugsdefizite beim Steuereintreiben beklagte am Freitag Reinhardt Kilmer von der Gewerkschaft ÖTV. Er verwies dabei auf eine Statistik des Bundesfinanzministeriums, derzufolge von den 5,3 Millionen Betrieben 1994 nur drei Prozent eine Betriebsprüfung über sich ergehen lassen mußten. Laut Statistik kommt es in 85 Prozent aller Betriebe überhaupt nur alle 53 Jahre zu einer Betriebsprüfung. Nichts geht mehr: Allein die Überprüfung von massenweise getätigten Schwarzgeschäften im Gastronomiebereich, so heißt es in einem Bericht der Münsteraner Oberfinanzdirektion, würde alle Steuerfahnder in NRW „auf zwölf Jahre auslasten“.

122 – oft eilig zusammengeschusterte – Steueränderungsgesetze in den letzten zehn Jahren und 40 neue Erlasse pro Jahr sind für das Chaos verantwortlich und haben zu einer Flut von Klagen geführt. Allein beim Bundesverfassungsgericht stehen 400 steuerrechtliche Regelungen auf dem Prüfstand. Ohne eine drastische Vereinfacherung des Steuerrechts, da waren sich in Düsseldorf alle Experten einig, ist Besserung nicht in Sicht. Solange wird in den Finanzämtern überwiegend wohl weiter nach der Devise verfahren, die Kilmer so beschrieb: „Hak es ab, es wird schon richtig sein, die Sonne scheint zum Fenster rein.“

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