: Westmaterial – Ostgedanke
■ Japanische Gegenwartskünstler stellen in Halle K3 auf Kampnagel aus
Im Rahmen der „Japan Wochen –96“ sind in Hamburgs letzter Ausstellungshalle für freie Konzepte, der Halle K3, 12 japanische Künstler zu sehen. Unter dem Titel „IKO - Transposition“ werden Installationen und Performances vorgeführt, die auf Hamburger Seite von der Künstlerin Anke Mellin und auf japanischer Seite von Ko Matsunga, Kurator am Museum of Modern Art in Saitama, ausgewählt wurden.
Bereits beim Eintritt in die Halle ist der Betrachter von Geflechten umgeben, die so gar nicht in das klassische Japan-Bild passen wollen. Die jüngere Künstlergeneration verzichtet auf ikonische und historische Anspielungen oder die Koketterie mit dem europäischen Japonismus, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Exotische betonte. Im Zuge globaler Mediatisierungen und politischer Gleichschaltungen scheint auch die Kunst Asiens Kategorien der nationalen oder regionalen Identität aufgegeben zu haben. So könnte man negativ den Sieg des westlichen Lebensstils wittern, positiv dagegen geöffnete Kommunikations- und Wahrnehmungsweisen erkennen.
Die Thesen von Roland Barthes aus dem Jahre 197O, daß „das Reich der Zeichen“ leer sei, scheint sich hier sinnlich zu bestätigen. Die Leere heißt im japanischen Mu und besitzt als kalligraphisches Zeichen Anmut, Ausstrahlung und Assoziation an Landschaften. Fremdheit und Identität könnte der Titel der Ausstellung auch lauten: den Künstlern ist sowohl die aktuelle Ortsgebundenheit, wie eine spezielle Materialtreue eigen. Erst durch die Konfrontation mit dem anderen, fremden Ort und seinem Material beginnen sie über kulturelle Unterschiede zu reflektieren. Das Ergebnis sind sinnliche Auslotungen, die auf begriffliche Eindeutigkeiten verzichten. Für den japanischen Zen-Buddhismus sind Worte nur ein Fingerzeig für jenen Zustand, der die Lehre als absolute Leerheit begreift. Das Etwas, über das man nicht reden würde. ist weder Geist, noch Buddha, noch Materie. Diese Absage an die sichere Führung durch Worte verweist auf ein Unnennbares, das durch alles hindurchfließt.
Durch die Verschränkung von Natur (Material) und Kultur (Bearbeitungsweise) gelangt durch die Hintertür dann doch ein spezifisch japanisches Denken in die Ästhetik. Ein undogmatisches Austarieren von Kunsthandwerklichkeit und materialintensiver Behandlung des Raumes führt zu jener Asymmetrie, die im japanischen das Maß des Schönen angibt.
Die Konzeption des gesamten Raumes steht somit im Zentrum der Ausstellung, und genau diesem Thema widmet sich Atsuo Hukuda mit einer Installation, die Kunstfragen durch Kunst lösen möchte. Indem er das Ausstellungsmachens selbst als eine Kunstform begreiflich macht, wird die Präsentation selbst zum Werk. Kazunori Kitazawa arbeitet bewußt außerhalb der Halle: dort, wo einst das „Haus des Widerstands“ gegründet wurde.
Kitazawa reinigt den Ort materiell und rituell, behandelt ihn mit lokalem Wasser und erschafft eine Spirale aus Eisenschleifen, um an das Kampnagel-Material Eisen (vgl. „AUS DER EISENZEIT“, 1994) zu erinnern.
Auch Akatsuki Harada rekurriert auf das alles durchdringende Eisen; das im Blut fließende Element wird als Gedächtnisform ins Bildhauerische überführt, um mit Holz und Eisen ein neues magnetische Feld zu schaffen.
Vielleicht kann die interessante Ausstellung ein Krisenfeld umreißen: Identität ist ein Konflikt. Ob er allerdings rein ästhetisch und fernab politischer Diskussionen zu führen ist, muß bezweifelt werden. Bemerkenswert ist nach wie vor, wie engagierte Künstler und Kuratoren mit dieser von der Kulturbehörde stiefmütterlich behandelten Halle immer wieder interessante Ausstellung zu Wege bringen.
Gunnar F. Gerlach
Kampnagel, Halle K3, bis 29. September, tgl. außer Mo, 16-2O Uhr; Performance-Abende: 14. und 15. September, jeweils 19.OO Uhr, Gesprächsrunde: 15.September, 15.OO Uhr
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