Geheime Empfehlung durch Verbot

„Mehr als das Gold hat das Blei in der Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte das im Setzkasten.“ Das hat Georg Christoph Lichtenberg vor zweihundert Jahren geschrieben. Die Setzkästen unserer Tage heißen „Pagemaker“ oder „Netscape Gold“, und Blei wird nur noch für die Flinte oder zum Schutz vor radioaktiven Strahlen gebraucht. Aber das Lichtenberg-Zitat ist auch heute noch gültig. Das wird spätestens dann deutlich, wenn die mit der Flinte wieder mal versuchen, die mit dem Setzkasten unterzubuttern und mundtot zu machen.

So etwas nennt man Zensur und kann nicht hingenommen werden, gleichgültig, von wem sie ausgeübt wird – von Polizisten im Auftrag des Generalbundesanwalts oder von selbsternannten Internet-Sheriffs, die sich Content Task Force nennen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich mit dem, was da zensiert werden soll, einverstanden bin oder nicht, ob ich begeistert bin oder es angewidert ablehne. Zensur findet nicht statt – so will es das Grundgesetz, und jede Ausnahme ist die Herrschaft der Flinte über den Setzkasten. Aber da wir gerade bei den Zitaten sind – der Kabarettist Dieter Hildebrandt hat den Umtrieben der Moral- und Staatsschützer jeder Art einen weiteren Aspekt abgewinnen können und

ihn trefflich auf den Punkt gebracht: „Zensur ist die geheime Empfehlung durch öffentliches Verbot.“

Präziser kann man es nicht formulieren, und ich bin mir sicher, daß der Generalbundesanwalt gewußt hat, in welches Wespennest er sticht, wenn er versucht, die nach Holland emigrierte Zeitschrift radikal vom Internet abzuklemmen. Wenn es ihm tatsächlich darum gegangen wäre, die Verbreitung der Nummer 154 zu verhindern, hätte er sie einfach ignoriert. Dann würden nur die draufklicken, die das immer tun, und das kann er verkraften.

Aber offenbar hat er's anders gewollt, und da er schlecht einen holländischen Server abklemmen kann, hat er bei Klein-Providern und dem Content-Dingsbums- Verein Staub aufgewirbelt – mit dem Ziel, den Zugang zu den Holländern zu sperren. Aber die haben sich ein paar Tricks einfallen lassen und in Null Komma nichts für Popularität gesorgt, so daß jetzt alle auf die Adressen der radikal klicken, nur um zu sehen, worum es überhaupt geht. Auch bei „Doom“, einem blutrünstigen Computerspiel, begann der große Run erst, nachdem es indiziert worden war.

Ich selbst habe nicht gewußt, daß es die Zeitschrift radikal noch gibt. Nun weiß ich es und stelle fest, daß dieser Quark den ganzen Rummel nicht wert ist.