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Multikulturelle Unübersichtlichkeit

■ “Art in Atlanta“: Eine Ausstellung im Amerika-Haus strotzt vor olympischer Vielfältigkeit

Ein braunes Getränk, ein weltweites Nachrichtenfernsehen und die Olympischen Spiele haben Atlanta bekannt gemacht. Jetzt macht Art in Atlanta, eine Wanderausstellung zeitgenössischer Kunst in Hamburg Station – und verwirrt durch das genaue Gegenteil aller Hi-Tech- und Super-City-Klischees. Mythisches dominiert die Bilder und Objekte, eine Suche nach den vielen verschiedenen Wurzeln der Individuen, die sich zum American Way of Life zusammengefunden haben. Jenseits des internationalen Kunstbetriebs von East- und Westcoast beginnt mit schwarzem Voodoo und cubanischer Santeria Südamerika schon mitten in den USA. Indianische Spuren, koreanischer Schamanismus und keltische Schriftzeichen ergänzen die weltweite Suche nach kultureller Differenzierung.

Diese ungewöhnliche Auswahl von „African-Americans, American Indians, European-Americans und Latino Emigrees“, darf Atlanta pc-gerecht repräsentieren. Die Stadt stellt sich als „lebendig, postmodern und multikulturell“ dar. Dabei muß der Erkenntniswert dieser Modewörter bestritten werden.

Dennoch ist das zeiträumliche Zusammenstürzen sich eigentlich ausschließender Begründungssysteme unterschiedlichster Ethnien in den Metropolen der Welt ein überdeutliches Phänomen und sicher ein zukünftiges Problem. Einst ortsspezifische Findungen gehen in unendlicher Reproduktion verloren: Clyde Broadway malt im barocken Rahmen eine alte Südstaatenvilla, die inmitten einer Unzahl von kleinen, billigen Kopien einer schnellen Vorstadtarchitektur langsam zerfällt. Und wenn der aus Panama stammende Kunstprofessor und Synkretismusfachmann Arturo Lindsay einen schwarzen, jüdisch-palästinensischen Christus zwischen magischen Symbolen malt, versucht er, hinter den sich bekämpfenden Teilen universaler Ideen noch einen gemeinsamen, humanistischen Nenner zu finden. Doch im Gegensatz zur alten Idee der Verschmelzung suchen die Migranten ihre speziellen Identitäten zu manifestieren, und das entzieht sich oft allgemeiner Lesbarkeit. Der aus Korea über Libyen nach Atlanta gekommene Se-Hoon Oh verbindet Christentum, koreanisches Schamanentum und amerikanische, gestische Malerei zu einem von winzigen tierförmigen Geistern belebten Dschungel aus Farbstrichen: geografische und mentale Flexibilität finden zu Manifestationen der „neuen Unübersichtlichkeit“.

Diese Bilder taugen als Ideenspeicher und als Bausteine zum innergesellschaftlichen, interkulturellen Dialog, nicht aber als Begründungen einer Multikulturalität. Das können, statt individualisierter eher generalisierte Formen, vor allem aber politische Rahmenbedingungen leisten.

Wo alles anders ist, bieten sich außer dieser zum Prinzip erhobenen Tatsache, nur noch wenige gemeinsame Grundwerte. Genau die will Atlanta mit seinen weltumarmenden Markenzeichen CNN und Coca Cola anbieten. Multikulturell sind vor allem die Multis. Die Römer nannten das vor zweitausend Jahren: divide et impera, teile und herrsche. Oder noch deutlicher: auch die neue Unübersichtlichkeit endet bei den Bilanzen der Konzerne und für manche, wie Eddie Granderson darstellt, unter Zeitungen am Straßenrand. Hajo Schiff Amerika-Haus, Tesdorpfstr. 1, mo-fr 9-18 Uhr, bis 18. Oktober

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