: Zusammengefaltete Angst
■ „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ im Theater für Kinder
„Ist ja alles ganz falsch“, beschwert sich ein Knirps. Die Kinder kennen das Stück in- und auswendig – aus dem Fernsehen, aus der Augsburger Puppenkiste. Das Resultat sind lautstarke Kommentare und Anweisungen aus dem Zuschauerraum. „Jim ist eigentlich viel zu groß für einen Jungen." – „Ich sehe nix.“ – „Wo bleibt denn die Musik?“
Lukas und Jim müssen Lummerland auf Anweisung des Königs, der vor Scham ob dieser Aussiedlungsanordnung rote Ohren kriegt, verlassen. Ohne sich von Jims Mutter zu verabschieden, fahren die beiden auf der Lokomotive Emma davon, was ein Kind aus dem hinteren Rang mit lautem Geschluchze quittiert. In der Ankunfts-Szene beim Kaiser von China weist der achtjährige Zuschauer Marijan darauf hin, daß der kaiserliche Türhüter Hurrican doch der König von Lummerland sei. Schließlich hat er noch immer dessen rotangemalte Ohren! Und Kaisertochter Li Si taucht als grüngetupfter Halbdrache Nepomuk wieder auf.
Wunderschön, die grün-türkis-blaue Drachengrotte, die Drachin Frau Mahlzahn in dunkelrotem Samtkleid farblich abrundet. Eva-Christina Langer und Elga Schütz als Drachinnen spielen eindrucksvoll, fast blind unter den Masken. „Hallo, ist da jemand?“, fragt Jim Knopf. „Hallo, hier bin ich!“, ruft das Publikum zurück und warnt: „Achtung, hinter der Steinmauer sitzt ein Drache!“ Jim verhaut die Drachin Mahlzahn. Marijan kaut nervös auf der Eintrittskarte. „Jetzt ist sie tot, juhu“, jubelt es aus dem Zuschauerraum. Aber nein, wie in schlechteren Krimis hat sich die Heimtückische bloß totgestellt, um Jim in ihre Krallen zu kriegen. Doch mit schlagkräftiger Verstärkung der im Stück mitspielenden Kinder wird das Monster niedergestreckt. Geklatsche und Gepfeife.
Die größte Schwierigkeit bei der Inszenierung, so Regisseur Ulrich Mokrusch, sei es gewesen, Metaphern, Bilder und Allegorien des Buches Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende in prägnante und verständliche Szenen zu übersetzen. Im Theater müssen Situationen verdichtet und eingängliche Symbole gefunden werden. So demonstriert zum Beispiel der Scheinriese Tur Tur, der immer kleiner und kleinmütiger wird, je näher er auf der Bühne heranschwebt, daß Bedrohliches bei näherer Betrachtung schnell zusammenschrumpft. Und wenn der vermeintliche Gigant schließlich zusammengefaltet vor uns sitzt, ist auch die Angst vor ihm längst ein Zwerg geworde n.
Kerstin Kellermann
bis 10. Nov., Theater für Kinder
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