Gefälschtes Entenhausen

Gut 13 Jahre sind ins Land gegangen, seit eine große deutsche Illustrierte ihre Gemeinde mit falschen Tagebüchern versorgte. Nun hat der Stuttgarter Ehapa-Verlag noch eins draufgegeben. Der jüngsten Ausgabe von Micky Maus, „der größten Jugendzeitschrift der Welt“, ist ein Stadtplan von Entenhausen beigeheftet, der allen Realitäten Hohn spricht. Die Weltstadt, deren Wolkenkratzersilhouette jedes Kind kennt und von deren Boden aus Raumschiffe in nie gekannte Weiten des Universums vorstoßen, ist in ihren Ausmaßen zu einer Art gallischem Dorf aus Cäsars Zeiten mutiert.

Der Bahnhof erinnert an die Eingangsszene von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Der Heimathafen der gigantischen Handelsflotte des Fantastillardärs Dagobert Duck ist zu einer lächerlichen Anlegestelle geschrumpft, die gerade mal drei Krabbenkuttern Platz bietet. Der Geldspeicher des Tycoons – das einzige Gebäude, welches in etwa der realen Architektur entspricht – befindet sich nahezu ungeschützt auf einem winzigen Hügelchen, das ein Säugling rückwärts zu bekrabbeln vermag. Zudem steht die Tür sperrangelweit offen. Unvorstellbar! Lediglich ein einfacher Zaun und eine altertümliche Kanone, die sich in Wahrheit im Inneren des Speichers befindet, sollen die Taler vor den Angriffen der Panzerknacker-Aktiengesellschaft schützen. Lächerlich!

Donald Duck und Micky Maus wohnen wahrheitswidrig vis-à-vis, und die stadtscheue Landfrau Oma Duck bewirtschaftet ihren Bauernhof in der City. Was für ein Blödsinn! Die größte Frechheit der Ehapa-Fälscher: Das Denkmal des ebenso heldenhaften wie legendären Stadtgründers, Emil Erpel, ist in einer Parkanlage von der Größe eines Tennisplatzes versteckt und hat die Größe der Bretterbude, die den Panzerknackern als Unterkunft dient. Das Entenhausen der phantasievollen Micky Maus-Redakteure wimmelt von Gebäuden, Straßen und Plätzen, die es so nicht oder gar nicht gibt, wie zum Beispiel das Schloß. Soll der Stadtstaat – immerhin eine der stabilsten Demokratien der Welt – zu einem Fürstentum oder Königreich umgelogen werden?

Andererseits fehlt Wesentliches im Stadtbild. Wo ist die Industrie abgeblieben, etwa die Margarinefabrik, in der Donald arbeitet? Wo wohnt und forscht der geniale Wissenschaftler Professor Primus von Quack? Warum wird das Verlagsgebäude des Entenhausener Kurier unterschlagen, Heimstatt der begnadetsten Edelfedern der Stadt? Fragen über Fragen. Die wichtigsten: Was hat die dreisten Faker bewogen, solch einen Unsinn zu produzieren? LSD? Wußten sie es nicht besser? Ist der ganze Schwindel also nichts als eine Topographie des Errors?

Wohl kaum. Offensichtlich soll mit Hilfe des veränderten Katasters auch die Geschichte Entenhausens umgeschrieben werden. Wollen die gierigen Schwaben etwa an das Vermögen Dagoberts heran, indem sie ihm wie allen anderen Bewohnern als ersten Schritt die Identität rauben?

Vorsicht ist geboten, so daß alle billig und gerecht Denkenden mit durchaus angemessenem Pathos wachgerüttelt werden müssen: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt den Profifälschern des Ehapa-Verlags nicht preisgeben könnt, nicht preisgeben dürft...“ Ulrich Zander