Das Ende der Stechuhr?

Mobilzeitmodelle sind langsam im Kommen. Neue Arbeitsplätze bringen sie kaum, aber ein bessers Betriebsklima in den Unternehmen
■ Von Kathi Seefeld

Neue Arbeitsplätze? Hermann Behrens, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Software-Firma Lufthansa Systems Berlin, muß nachdenken. „Unser Arbeitszeitmodell hat eher den Effekt, dann, wenn wenig zu tun ist, auch mal wegbleiben zu können“, sagt er. Die rund achtzig Mitarbeiter des Unternehmens arbeiten nach einer Mobilzeitvariante, die jährlich festgelegt wird. „Bis Ende August entscheidet jeder für das Folgejahr, wie viele Stunden er in der Woche arbeiten und wie viele Urlaubstage er nehmen möchte. Der Spielraum bewegt sich zwischen 30 und 40 Arbeitsstunden beziehungsweise den gesetzlich festgelegten 20 und 40 Urlaubstagen.“ Die Normalarbeitszeit geht von 38,5 Wochenstunden und 30 Tagen Urlaub aus. „Die Auswirkungen aufs Gehalt sind direkt, 1 zu 1.“ Mitarbeiter müssen mindestes die Hälfte der vereinbarten Arbeitszeit anwesend sein.

„Die Arbeit“, so Behrens, „verteilt sich sehr unterschiedlich über das Jahr. Während ein Projekt läuft, gibt es Spitzenwerte in der Arbeitszeit, danach auch mal eine Lücke zum Erholen.“ Daß unterm Strich fast alle Mitarbeiter durchschnittlich 7,5 Stunden und mehr arbeiten, überrascht selbst den Betriebsrat. Aber immerhin, das Betriebsklima ist toll, bestätigt Lufthansa-Systems-Berlin-Pressesprecher Sebastian Schmidt. Urlaub, den man nicht genommen hat, würde gutgeschrieben. So kann ein Mitarbeiter auch mal ein Vierteljahr oder länger in Urlaub gehen. „Was wie machbar ist, wird in den Projekten verantwortet“, ergänzt Hermann Behrens.

Möglich wurde das Mobilzeitmodell auf der Basis einer Betriebsvereinbarung. Denn für das Unternehmen gilt nicht der Tarifvertrag der Lufthansa. „Doch auch diese Tarifverträge stünden der Suche nach flexibleren Arbeitszeitmodellen generell keinesfalls im Wege“, meint der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. „Zwischen den Tarifparteien kann vieles ausgehandelt werden.“

Seit Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985 ist die Mobilzeit der Vollarbeitszeit arbeitsrechtlich gleichgestellt. „Doch noch immer arbeiten viele Firmen nach der Stechuhr“, so Annette Münich, Mitarbeiterin der Angela-Fauth-Herkner-Arbeitszeitberatung „Neue Wege für die Arbeitswelt“ in Pullach. Das Beraterteam ist eins von dreien, die seit Mai vergangenen Jahres und noch bis 1997 das großzügig geförderte Modellprojekt „Mobilzeitberatung – Qualifizierte Teilzeitarbeit für Frauen und Männer“ beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betreuen. Dabei sollen in hundert kleinen, mittleren und großen Unternehmen der Wirtschaft Wege zur Mobilzeitarbeit ermöglicht werden. Vor allem in Fach- und Führungspositionen. „Gerade in den Führungsetagen muß vorgelebt werden, daß es möglich ist, Arbeit zu teilen“, sagt Annette Münich. Leider ginge es dann doch oft nur um die Belegschaft. „Das beginnt mit der Optimierung des Personaleinsatzes.“ Dadurch werden zwar keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, aber alte wenigstes nicht abgebaut.

Erste Erfahrungen zeigen, daß sich sowohl Beschäftige als auch Unternehmen nach wie vor die gängigen Formen der Teilzeitarbeit wünschen: eine täglich verkürzte Arbeitszeit, in der Regel Halbtagsjobs für Frauen. Aber auch die wöchentlich verkürzte Arbeitszeit ist weit verbreitet. Nach dieser Regelung wird an einem Tag länger, am nächsten Tag kürzer gearbeitet. Das Bundesfamilienministerium spricht von Wechselschichtsystemen. Bei solchen Modellen können Lage undDauer der Arbeitszeit täglich wechseln.

Die flexiblen Formen der Mobilarbeitszeit gewinnen jedoch in der Wirtschaft an Bedeutung. Zum Beispiel in Form von Jahreszeitverträgen, in denen ein festes Arbeitsdeputat über eine sehr lange Planperiode verteilt werden kann. Wie bei Lufhansa Systems Berlin. „Mobilzeitbeschäftigung kann in diesen Fällen bedeuten: Zu bestimmten Zeiten wird entsprechend der betriebsüblichen Arbeitszeit voll, zu anderen überhaupt nicht gearbeitet.“

Viele Arbeitnehmer würden gerne weniger Stunden wöchentlich arbeiten. Das bestätigt Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Vor allem Beschäftigte in den neuen Bundesländern haben daran Interesse. Dort ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auch noch höher als im Westen.“ Seit 1984 arbeitet das DIW an einer Langzeitstudie, die unter anderem Arbeitszeitfragen berücksichtigt. Inzwischen wurden mehr als 7.000 Haushalte befragt. Seit 1990 werden auch die neuen Länder einbezogen.

Die Studie zeigt aber auch: Die Zahl der Überstunden hat in den vergangenen Jahren keineswegs abgenommen. Im Gegenteil: „Es werden statt dessen mehr Überstunden gemacht, ohne Entgelt.“ Kurz, in der Bundesrepublik wird zunehmend mehr für immer weniger geleistet. Daß es Arbeitsplätze bringen könnte, wenn verkürzt gearbeitet wird, sieht Jürgen Schupp nicht. „Das Überstundeneinkommen ist für viele eine feste Einkommensquelle geworden.“ Falle diese weg, würden garantiert Ausweichaktivitäten unternommen. „Vor einer Art Schattenökonomie möchte ich jedoch ausdrücklich warnen.“