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Keine Teilnehmer – kein Müll am Po

Bei den „Unabhängigkeitstagen“ der oberitalienischen Sezessionisten nahmen weniger Menschen teil als erwartet. Der Staatsanwalt ermittelt gegen den Lega-Führer Umberto Bossi  ■ Aus der Poebene Werner Raith

Der Tower wiederholt die Maßgabe gleich viermal: „Achtung, heute Sicherheitsabstand acht Meilen! Wiederhole: Sicherheitsabstand acht Meilen. Wiederhole...“ Sandro, der Pilot, zieht sich den Kopfhörer vom linken Ohr. „Was hat denn der? Meint er, daß wir mit Bordkanonen auf die Sezessionisten schießen? Hält er uns für Mafiosi, die den Dom von Padua angreifen wollen?“ Sandro ist Sizilianer und kennt sich außerdem mit Schießgerät aus: „Solche Sicherheitszonen gibt's sonst nur bei Staatsbesuchen.“ Die kleine Cessna jedenfalls stellt beim besten Willen keine Gefahr dar – doch die Nervosität der Behörden ist unverkennbar. Selbst auf dem kleinen Privatflughafen bei Parma sind Sicherheitskontrollen wie bei Interkontinental-Airports angeordnet: die „Unabhängigkeitstage“ der oberitalienischen Sezessionisten gelten als brandgefährliche Sache.

Corrado richtet seine Kamera am Fenster ein. „Unsere Gebete haben geholfen“, feixt er, „gutes Wetter.“ Nicht nur seiner Aufnahmen wegen, die er für einen Regionalsender drehen soll: Corrado ist überzeugter Anhänger der Lega- Bewegung, und nun hofft er, daß das gute Wetter möglichst viele Anhänger mobilisiert. Dann zupft er sich kokett sein grünes Halstuch zurecht, das Zeichen seiner Zugehörigkeit zur Lega Nord. Sandro guckt genervt, feixt irgend etwas zurück über das „blöde Nordlicht“ an seiner Seite – und sieht den Stinkefinger Corrados als Antwort.

Die Cessna kurvt einige hundert Meter herunter, über Borgoforte, wo am Samstag eine Manifestation mit Lega-Führer Umberto Bossi stattgefunden hat. „Na ja“, rümpft Sandro die Nase, „entweder sind eure Leute besonders sauber – oder es waren nur ganz, ganz wenige da.“ Tatsächlich ist auf den Kundgebungsplätzen kaum Abfall zu sehen. Vielleicht wurde er in der Nacht weggeräumt. „Jedenfalls“, stichelt Sandro weiter, „glaub' ich jetzt erst mal der Polizei mehr als euch“ – die Obrigkeit hatte von gerade mal fünf- bis sechstausend Teilnehmern beim größten Aufmarsch in Mantua gesprochen, die Lega dagegen von „gut hunderttausend“ an den drei großen Manifestationen in Pavia, Mantua und Borgoforte. Dreißig Busse hatten vorübergehend zwischen Piacenza und Cremona alle Brücken besetzt – „aber das sah gerade mal aus wie ein Heimfahrstau am Wochenende“, befindet Sandro, der auch gestern in der Luft war.

Immerhin: Heute morgen jedenfalls ist von der Luft aus doch einiges an Aktivitäten zu sehen. Um halb acht setzten sich zahlreiche Motorboote in Bewegung, mittendrin, aber kaum erkennbar, der Katamaran „Virgilio“, der die Phiole nach Venedig bringen soll. Ganz einfach ist das alles nicht: Am Vortag war die Schiffsprozession gescheitert, der Po – ausgerechnet er, den Bossi in seiner verquasten Mythologie mittlerweile sogar zum „Dio Po“ der neuen Republik erhoben hat – hatte gestreikt und zuwenig Wasser geführt. Bossi mußte mit dem Fläschchen „Weihwasser“, das er am Freitag der Po- Quelle in Pian del Re entnommen hatte, aufs Auto umsteigen, um rechtzeitig zur „Republik-Taufe“ in Venedig zu sein. Nun aber klappt es, die Schaumspuren von gut dreißig Booten zeigen es deutlich; später ist zu hören, daß Bossi erst später an Bord steigen wird. Macht nichts – denn „da ist auch unsere Squadra der Lüfte“, kleine Flieger mit langen Schleppnetzen hintendran. Corrado kann kaum die Kamera halten, so freut er sich auf das „Padania indipendente“.

Auch Sandro kann kaum an sich halten – vor Lachen. „Paß nur auf, daß da nicht wieder der Berselli ist“ – der Abgeordnete der Lega-feindlichen Nationalen Allianz hatte am Vortag mehrfach Bossi die Schau gestohlen, als er mit seiner einmotorigen Piper und dem Schriftnetz „Eviva l'Italia“ über den Veranstaltungen gekreist war. Schon bei der Wasserentnahme an der Po-Quelle in 2.000 Meter Höhe hatte er die malerisch in mittelalterlichen Trachten aufmarschierten Bossi- Anhänger erheblich beim Gruppenbild irritiert. „Wie zu unseren Zeiten der Studentenrevolte“, sagt Sandro anerkennend, „wo wir dem Establishment auch immer zuvorgekommen sind. Die Faschisten lernen's noch.“

Um alle weiteren Frotzeleien zu unterdrücken, schaltet Corrado „La voce della Padania“ ein, die zu diesem Tag ununterbrochen Bossi- Reden und garantiert rassereine Nordstaatlermusik sendet, „nix ,O sole mio‘ aus Neapel oder ,Volare‘ aus Sizilien“.

Bossis Sprüche klingen drohend: Nächstes Jahr ist endgültig Schluß, tönt er: „Die Sezession ist nicht mehr rückgängig zu machen.“ Als erstes werde er schon diese Woche ein Dekret erlassen, „das die Bildung einer Nationalgarde anordnet“. Corrado lacht brüllend, als der Sprecher mitteilt, daß die Staatsanwaltschaft Turin ob dieser Äußerungen ein Ermittlungsverfahren gegen Bossi eingeleitet hat, wegen Angriffs auf die Verfassung. „Nur weiter so“, sagt er erfreut, „wir kriegen noch unsere Märtyrer.“ Sandro schlägt gleich mal eine eher sizilianische Lösung vor: „Warum bringt ihr ihn nicht selber um und schiebt's Rom in die Schuhe? Geht doch viel schneller.“ Einen Augenblick sieht es so aus, als wolle ihm Corrado die Kamera auf den Kopf hauen. Doch dann besinnt er sich und sagt eher leise: „Ihr macht's wie immer, ihr nehmt so etwas wie den Sezessionismus nicht ernst. Und dann wundert ihr euch, wenn wir uns radikalisieren.“

Sandro, der sonst auf alles eine Antwort weiß, schweigt, ein wenig verblüfft, ein wenig nachdenklich. Er blickt nach unten: Da ist an beiden Seiten des Po und an seinen Brücken die famose „Menschenkette“ zu sehen, die anzeigt: So ganz mit Aussitzen und Weggucken wird sich das Problem doch nicht lösen lassen.

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