: Statt Inhalt schöne Stimmen
■ Spielzeit - Eröffnung im Stadttheater Bremerhaven: Verdis „Nabucco“
1842 war sie politische Fanfare, heute ist sie purer Wohlklang, der nur noch von fern - in dem populären Gefangenenchor - an die Befreiungssehnsucht von damals erinnert: Mit Verdis Risorgimento-Oper „Nabucco“ eröffnete am Wochenende das Stadttheater Bremerhaven im ausverkauften Großen Haus die neue Spielzeit. Intendant und Regisseur Peter Grisebach präsentiert zwar keinen Geniestreich, aber eine gediegene Inszenierung - in italienischer Sprache, die vom Publikum mit minutenlangem Beifall, mit Jubel- und Bravorufen belohnt wurde. Standing ovations galten vor allem dem Gastsänger Boris Trajanov, der in der Rolle des babylonischen Königs Nebukadnezar (Nabucco) stimmlich und spielerisch glänzte.
Grisebach hat den biblischen Stoff mit sparsamen Bühnenmitteln wirksam in Szene gesetzt. Vor ihrer Gefangennahme beten die Hebräer in Salomons Tempel, der mit einem in der Höhe schwebenden, überdimensionalen Davidstern angedeutet wird. Ein schneeweißes Tuch fließt wie eine Lichtsäule aus seiner Mitte auf den Tempelboden herab, der seinerseits weiß ausgeschlagen ist. Christopher Hewitt (Bild und Kostüme) kleidet die babylonischen Krieger, die Jerusalem erobern, in dunkelrot und schwarzledern glänzende Phantasieuniformen. Er läßt sie mannshohe silbergraue Schilder (mit Sehschlitzen) tragen, die wirksam zu Gefängniswänden zusammengestellt werden können. Wenn die Soldaten in schwarzen Stiefeln den Tempel betreten, treten sie den weißen Tempelboden einfach zur Seite. So schlicht und elegant wird der Ortswechsel angezeigt: Von Jerusalem nach Babylon. Dort wartet die finstere Abigail (Sarah Johannsen), Nabuccos Adoptivtochter, auf ihre Chance, den Vater und die Schwester Fenena zu entmachten und die gefangenen Hebräer in den Tod zu schicken.
Peter Grisebach überspielt die Ungereimtheiten des Librettos, die abenteuerlich konstruierte Geschichte mit ihren wilden Sprüngen, indem er sich ganz auf das Hauptthema konzentriert. Die Bilder der Gefangenschaft und Befreiung des israelischen Volkes sind statische, eingefrorene Tableaus, es sind Massenszenen mit großem Chor und Solisten, die selten in Bewegung aufgelöst werden. Grisebach nimmt das Spektakel so weit zurück, daß er sogar auf bühnenwirksame Effekte verzichtet: Kein Blitzstrahl schlägt den frevelhaften König mit Wahnsinn, und die skrupellose Abigail wird zum Schluß nur von ein paar umgestürzten Schildern erdrückt. Wenn die Gefangenen ihren berühmten Chor „Va pensiero, sull ali dorate“ (Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen) anstimmen, erlaubt der Regisseur ihnen allerdings Bewegungen, die ins rührig Sentimentale abgleiten: die Frauen netzen ihre Taschentücher - textgetreu - mit Tränen, die der empörte Oberpriester Zacharias (Peter Daaliysky) verbietet, andere setzen sich am Bühnenrand „an die Wasser zu Babel“, um elegisch die Stirn zu nässen. Vor ihrem Untergang läßt die Herrscherin Abigail eine Grube öffnen mit einer eisernen Rampe, über die die gefangenen Juden in den Tod geschickt werden sollen. Ein kurzes Bild, das Assoziationen weckt. Darüber hinaus sind die im Programmheft behaupteten Hinweise auf Flüchtlinge in aller Welt nicht zu sehen. Statt inhaltlich zu überfrachten, setzt Grisebach auf sängerfreundliche szenische Anordnungen, auf große Oper als musikalisches Ereignis. So viele klangschöne Stimmen wie in „Nabucco“ waren in Bremerhaven selten zu hören. Trajanov erreicht als entmachteter, umnachteter König in seiner Gefängnisarie einen musikalischen Höhepunkt, um sich im dramatischen Duett mit Sarah Johannsen noch einmal zu steigern, auch der erweiterte Chor ist überraschend präsent. Daß Michael Austin im Liebesduett die souveräne Partnerin Kathryn Dineen (als Fenena) mit seinem gewaltigen Tenor unbarmherzig vital an die Wand singt, mag man angesichts seiner Strahlkraft überhören. Aber die dominanten Blechbläser im städtischen Orchester sollte der musikalische Leiter Leo Plettner unbedingt bändigen. Wie gesagt: „Nabucco“ ist keine politische Fanfare mehr.
Hans Happel
Nächste Vorstellungen: Bremerhaven, Großes Haus 22.u. 29. 9.
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