Langgezogene, klagend leere Töne

■ Qin Yufen kam als Malerin von China nach Deutschland. Ein Portrait der Künstlerin

Als kleines Mädchen führte sie auf den Straßen von Peking revolutionäre Tänze auf. Es war Kulturrevolution. Junge Chinesen wurden aufs Land geschickt, hatten in der Fabrik zu arbeiten. Qin Yufen wurde Dreherin. 15 Jahre später. Unter Deng Xiaoping erlebt China eine vorsichtige wirtschaftliche Liberalisierung. Noch immer lehren staatliche Kunstakademien den sozialistischen Realismus; wer neue Kunst studieren will, schließt sich freien Künstlergruppen an. Qin, die neben ihrer Fabrikarbeit impressionistische Landschaften in Öl malt, bricht mit dem Realismus und entwirft abstrakte Tuschbilder auf Reispapier. Noch 1985 verbietet die Polizei Ausstellungen moderner Kunst. Im gleichen Jahr kommt Rauschenberg nach Peking, der erste Avantgardist in China.

1986 verläßt Qin mit ihrem Mann das Land und geht nach Deutschland. 1988, drei Jahre nach ihrer Begegnung mit Rauschenberg, beginnt sie in Berlin Rauminstallationen und freie Objekte zu schaffen. „Mädchenkammer“ heißt eine ihrer Arbeiten: auf einem Wäschetrockner eine chinesische Vase, das Ganze umhüllt von einem Moskitonetz. Während ihre Arbeiten bald in Rotterdam, Bratislava, New York, Linz und Istanbul ausgestellt werden, erlernt Qin Yufen eine neue Kunstsprache: Klanginstallationen. Für „Schwebende Boote“ hängte sie Tausende von Mundschutzen aus Papier an langen dünnen Fäden von der Decke; aus darin schwebenden fünfmarkstückgroßen Lautsprechern dringt chinesische Musik, die sie im Tonstudio am Computer bearbeitet hat.

Im ehemaligen Ostberliner Postfuhramt hat sie im ersten Stock für das Festival Sonambiente derzeit eine Art imaginäre, vergessene Pagode eingerichtet: ein achteckiger Raum im ersten Stock, an dem sich verschiedene Gänge kreuzen, mit großen Rundbögen an den Wänden und darüber eine achteckige Kuppel. Auf dem Boden liegt säuberlich geharkter Sand und darauf riesige Bambusrohre, in die im engen Abstand kleine Lautsprecher eingelassen sind. Langgezogene, klagend leere Töne wehen umher, weit, weit, weit weg; die Farbe blättert von den Wänden, vergilbtes Behördengrün, grobe Pflanzenornamente aus Stuck; irgendwo ein dumpfer, kaum erkennbarer Triller, dann ein leises metallisches Dröhnen, eine abgerissene chinesische Flötenmelodie; der Besucher sinkt in dem bleiernen Raum auf den Boden und vergißt auf die Uhr zu schauen. Nichts bewegt sich. Martin Greve