: "Liebe taz..." Anti-Rassismus-Büro zu Dr. Auerswald - betr.: Brechmittelvergabe, Stellungnahme der Ärztekammerpräsidentin Dr. Auerswald
Betr.: Brechmittelvergabe, Stellungnahme der Ärztekammerpräsidentin Dr. Auerswald
Die Antwort der Bremer Ärztekammer auf unseren offenen Brief geht von mehreren falschen Annahmen aus.
1. Das Argument vom Gesundheitsschutz ist eine alte Schutzbehauptung. Es ist kein Fall bekannt geworden, in dem sich eine Person aus dem hier zur Diskussion stehenden Personenkreis der StraßenkleinhändlerInnen durch verschlucktes Kokain vergiftet hätte. Die in der Literatur beschriebenen Fälle von Kokainvergiftungen durch Verschlucken beziehen sich auf völlig andere Umstände (z.B bei dem Hamburger Rechtsmediziner Prof. Dr. Püschel, der die polizeiliche Brechmittelvergabe übrigens ablehnt – in Kriminalstatistik Nr. 49). Würde es sich bei der angeblich drohenden Kokainvergiftung um ein tatsächliches Problem und nicht nur um ein Propaganda-Argument handeln, dann wäre die polizeiliche Brechmittelvergabe darüber hinaus grob fahrlässig und lebensgefährlich. Die Betroffenen wären stattdessen sofort in eine Fachklinik mit Intensivstation einzuweisen. Und selbst dort dürfte keine Zwangsbehandlung gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt werden.
2. An Kinder werden Brechmittel nur dann verabreicht, wenn es gilt, eine konkrete Vergiftungsgefahr abzuwenden, das heißt nach strenger Risiko/Nutzen-Abwägung. Dies ist eine komplett andere Ausgangslage, hat also mit der Brechmittelvergabe durch die Polizei zur Beweisgewinnung überhaupt nichts zu tun. Der durchführende Rechtsmediziner Birkholz weiß das. Er bezeichnet die polizeiliche Brechmittelvergabe in einem Brief an Oberstaatsanwalt Frischmuth vom 7. April 1995 als rein „juristisch/politisches“ Problem, „da keine medizinische Indikation für ein ärztliches Handeln vorliegt.“
3. Die Behauptung der Ärztekammer, die Rechtsmediziner seien „durch den Auftrag der Staatsanwaltschaft verpflichtet, diese Beweissicherungsmaßnahme durchzuführen, ist grob falsch und politisch verheerend. Hier wird von der Ärztekammer eine Art „Befehlsnotstand“ konstruiert, der schon in ganz anderen Fällen zur Legitimation von Tätern gedient hat (vgl. aktuell der Fall Priebke). Es gilt nach wie vor: Kein Arzt und keine Ärztin kann dazu gezwungen oder verpflichtet werden, einer Person Brechmittel zur Beweissicherung zu verabreichen. Ob der Arzt Rechtsmediziner ist oder nicht, ändert daran nicht das geringste. Die Birkholz-Mitarbeiter handeln somit nicht aus eigenem Entschluß, wenn sie z.B. einer gefesselten und von mehreren Polizisten festgehaltenen Person mit Gewalt eine Nasen-Magensonde einführen. Hinzu kommt, daß sie die Brechmittelvergabe nicht, wie von der Ärztekammer unterstellt, in ihrer Funktion als Rechtsmediziner durchführen, sondern quasi freiberuflich als Angehörige des von Birkholz geleiteten, sogenannten ärztlichen Beweissicherungsdienstes. Sie werden für jeden einzelnen Fall von der Polizei bezahlt. Birkholz sagte uns im Mai 1995 sogar wörtlich, wenn die Bremer Polizei Brechmittel verabreichen läßt, „dann will ich es machen.“
Anti-Rassismus-Büro Bremen
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