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Pop-Art für Bronzehelme

■ Das wieder eröffnete Focke-Museum lockt mit 32 Exponaten zur Schnupperausstellung

Das Herzstück kaufmännisch-hanseatischer Identitätsbildung ist kaum wiederzukennen. Nach der Sanierungspause öffnet das Focke-Museum am Sonntag erneut seine Pforten. Der Grund: Die auf drei Monate befristete Schnupperausstellung „Aussichten. Noch nie Gesehenes in Szene gesetzt“ - ein erster Testlauf für die Wiedereröffnung 1998.

Der Titel ist Programm; zu sehen gibt es nicht nur 32 noch nie gezeigte Exponate. Doch nicht nur was ausgestellt wird, hat zuvor kaum ein Hanseatenauge zu Gesicht bekommen: Das einstmals enorm vitrinenlastige Focke-Museum übt sich in neuen Präsentationsformen. Das Objekt an sich ist nunmehr verpackt. Mit ausufernden Spankonstruktionen, die sich in mutigen Winkeln als Drei- oder Vieleck um die Exponate winden, werden Räume geschaffen, die die Neugierde wecken. Weil man nicht weiß, was hinter der Ecke steckt, betrachtet man den sechshundert Jahre alten Fäustling aus Rindsleder zumindest nach den Vorstellungen der Aussteller mit gesteigertem Interesse.

Eine weiße Kastenkonstruktion etwa muß umkurvt werden, um auf ein Stück Reformationsgeschichte zu stoßen: Das nach fünfzig Jahren endlich restaurierte Totenbild des Verfassers der ersten Bremer Kirchenordnung, Johann Timman aus dem Jahre 1557, ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Die Beschriftung ist dreigeteilt: Winzig klein am Rande das Fachchinesisch, groß und leicht zugänglich der erklärende Text. Ganz neue Töne für das Museum sind aber knackige Überschriften inmitten der Texte: „Er gab den Schafen frommes Futter“ heißt es derart locker über den Reformator, daß auch träge Schüleraugen wieder blitzen.

Gelegentlich wirken der Schuß Pop, die gewagten Farben konfus. Das ist für den Leiter des Focke-Museums, Jörn Christiansen, aber kein Drama: „Wir wollten experimentieren, spielen und daraus lernen.“ Auf eine chronologische Ordnung der Exponate hat man bewußt verzichtet. Christiansen: „Zwölfhundert Jahre Stadtgeschichte mit 32 Stücken nachzuzeichnen, wäre lächerlich.“ In zwei Jahren, wenn das Museum endgültig wieder seine Pforten öffnet, soll es aber wieder strikt nach Jahreszahl zugehen - schließlich muß sich der Zuschauer dann durch zehn Mal soviele Exponate wühlen. Heute aber soll geschlendert werden.

Sogar inhaltlich hat sich etwas getan. Natürlich gibt es gewohnt viele wirtschaftsorientierte Ausstellungsstücke wie den hölzernen Rohling der letzten in Bremen produzierten Lloyd Arabella der Firma Borgward oder das Aushangschild der AG Weser, das am 13.9.1983 zur letzten Betriebsversammlung aufruft. Der Hanseat bleibt eben ein Kaufmann, aber einer, der endlich selbstkritischer mit der Vergangenheit umgeht. Mit der im September 1935 gedruckten Broschüre „Auch Dich geht es an“ schließt das Focke-Museum eine Lücke in der Bremer Geschichte von 782 bis heute. Diese Broschüre des „Kampfbundes der gewerblichen Mittelständler“ zeigt den Versuch auch die NS-Zeit durch Originaldokumente in Erinnerung zu rufen. Fazit: Das neue Focke-Museum ist auch in Minibesetzung einen Besuch wert. L.R.

Ausstellungseröffnung am 22.9. um 11.00 Uhr. Im Anschluß daran Fockes Fest von 12.00 - 22.00 Uhr mit Theater, Musik und mehr.

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