: Kein sicherer Ort, nirgends
■ betr.: „Für die Entsorgungsfrage die Verantwortung mittragen“, taz vom 13. 9. 96
Wir sehen, auch nach dem Interview mit Peter Eichenseher keinen Anlaß, die bündnisgrüne Haltung zur Zwischen- wie erst recht zur Endlagerung von Atommüll zu ändern. Weder für 30 noch für 30.000 Jahre gibt es für neue oder alte Brennelemente aus AKWs einen sicheren Ort auf der Erde; Plutonium ist und bleibt ein Stoff, dessen Gefahren in wie aus jedem denkbaren Lager nur in Horrorszenen zu beschreiben sind.
Da es für die strahlenden Reste der Atomindustrie nur die Wahl zwischen schlimmen und noch schlimmeren Lösungen gibt, können wir uns für keine Art der Lagerung aussprechen, solange das Spiel mit dem atomaren Feuer weiter betrieben wird. Wir kämen uns vor wie Leute, die Sandsäcke gegen steigende Fluten errichten, während nebenan andere den Deich einreißen. Wenn wir, mit welchen Vorschlägen auch immer, an der Debatte um die Verschiebung der strahlenden Überbleibsel aus AKWs von einem Ort zum anderen mitwirken, erleichtern wir das Geschäft derer, die weiter auf diese Todestechnologie setzen und dafür des Scheins von Entsorgungsnachweisen bedürfen. [...]
Innerhalb der Grünen meinen wir, damit weiter Eulen nach Athen zu tragen. Innerhalb der atom- und energiepolitisch aktiven Gruppen unserer Partei, in denen wir uns seit Jahren bewegen, ist diese oben skizzierte Position bisher auch nicht angefochten worden. Hartwig Berger, MdA Berlin,
Dietmar Rieth, MdL Rheinland-
Pfalz, Charly Amannsberger,
Fraktionsmitarbeiter Bayern
[...] Selbstverständlich ist die AKW-kritische Haltung der Grünen in NRW gekippt. Denn auch Dir müßte klar sein, daß das bundesweite Entsorgungskonzept von 1979 bislang auf zwei Zwischenlager für ganz Deutschland abstellt. Das eine ist Gorleben, das andere Ahaus. Die Problematik um das Zwischenlager Lubmin klammere ich hier einmal aus. Eine regionen- beziehungsweise bundeslandbezogene Entsorgung ist ein alternatives Denkmodell und wird vor allem von der SPD in Niedersachsen immer wieder in die Diskussion gebracht, um den Widerstand im Wendland zu schwächen. Vor allem aber stehen hinter dieser Forderung die eigennützigen und machtpolitischen Beweggründe des Atomprotagonisten Gerhard Schröder, Ministerpräsident von Niedersachsen.
[...] Und nun zur Frage: „Könnten diese Pläne zum Knackpunkt für die rot-grüne Koalition in NRW werden?“ Du sagst nein. Ich sage, bereits die Entscheidung, eine rot-grüne Koalition unter der Bedingung, ein Atommüllager zu akzeptieren, wenn auch nur für Atommüll aus NRW, war falsch. Damit habt Ihr Euch gegen die Anti-Atom-Bewegung und das grüne Programm gestellt. Die Akzeptanz von Erweiterungsplänen machen dann das Kraut nicht mehr fett. Und nur so ist es zu erklären, daß neben dem Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll zwischenzeitlich auch eines für leicht- und mittelaktiven genehmigt werden konnte.
[...] Deine Statements im taz- Artikel sind eine Mischung aus Grundsatzpositionen der Anti- AKW-Bewegung und einer erschreckend eingeschränkten, nur auf das Land NRW fixierten Sichtweise. Wenn Du schon nicht über den Tellerrand hinausschauen willst und offenbar den Ausstieg in NRW als den „Atomausstieg an sich“ feierst, müßtest Du aber dann auch bereit sein, deutschen Atommüll aus den Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) in La Hague, Sellafield und Dounraey ohne mit der Wimper zu zucken zu akzeptieren. Das willst Du dann aber doch nicht. Statt dessen habt Ihr Euch in einer aktuellen Stunde gegen die Rücknahme der frischen plutoniumhaltigen Kalkar-Brennelemente aus der schottischen WAA ausgesprochen. Übrigens: Bislang ist die Einlagerung dieser plutoniumhaltigen SBK-Brennelemente in Ahaus noch nicht beantragt. Das wird aber sicher der erste Änderungsantrag zur ausstehenden Genehmigung sein!
Aber zurück zu Deinem Interview. Einerseits willst Du Verantwortung für die Entsorgung tragen – andererseits ist Dir das Hemd näher als die Hose. Nur um die Koalition nicht zu gefährden, habt Ihr also den Mund nicht aufgetan, obwohl Ihr ganz genau wißt, daß Ahaus zum „Endloslager“ avanciert. Die Atom-Mafia reibt sich schmunzelnd die Hände, weil ihr Prinzip – die Gier nach Macht und Geld – eben auch bei Euch Grünen in Regierungsverantwortung funktioniert. [...] Irene Maria Sturm, B'90/ Grüne, Mitglied des Bayerischen Landtages
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