piwik no script img

Vom Brechen und Hecheln

Die Aufbereitung von Hanfpflanzen ist noch zu arbeitsintensiv und unrentabel. Neue Techniken sind gefragt. Ein Aufschluß-reicher Artikel  ■ Von Martin Kaluza

Allein die Berliner TreuHanf rechnet bei der diesjährigen Ernte mit einem Ertrag von rund 600 Tonnen Hanfstroh. Bevor daraus allerdings eine Jeans, eine Dämmstoffplatte oder sonst ein nützliches Produkt werden kann, muß das Stroh aufbereitet werden. Das haben schon unsere Großmütter und unsere Großväter getan, und vor ihnen waren es ihre Vorfahren, und das war gut so. Aber seit diesen Zeiten ist Arbeitskraft hierzulande teuer geworden, und der Prozeß der Hanfaufbereitung, namentlich der Aufschluß des Hanfs in Fasern und Schäben, erfordert schon traditionell viel Arbeitszeit; da liegt ein Problem: Hanfstroh in die Wasserröste geben, Brechen, Schwingen und Hecheln sind zu zeitintensiv, um auf konkurrenzfähige Art und Weise in Deutschland durchgeführt zu werden. Die Folge: Diese Arbeitsgänge sind nicht im Rahmen einer regionalen Kreislaufwirtschaft zu erledigen, wie sie von den Hanf- Lobbyisten ersehnt wird: Die Konkurrenz in Osteuropa ist billiger, und solange hier keine konkurrenzfähigen Verfahren zum Hanfaufschluß bereitstehen, wird der in Deutschland angebaute Hanf zum Beispiel nach Rumänien gefahren, dort aufgeschlossen und die Rohfaser zur Weiterverarbeitung wieder zurückgebracht.

Um also überhaupt in Kreislaufwirtschaften arbeiten zu können, sind Verfahren zum Hanfaufschluß in industriellem Maßstab gefragt, und die Entwicklungsarbeiten laufen auf Hochtouren. So werden 1996 in Deutschland erstmalig vier neue Faseraufschlußverfahren realisiert. Wegen der Ähnlichkeit der Aufbereitung stammen drei der neuen Anlagen aus Flachsprogrammen in Sachsen und Brandenburg.

Die Vorteile der neuen Verfahren liegen dabei nicht allein in der Kostenersparnis gegenüber den traditionellen Methoden. So ist es etwa beim Aufschluß durch mechanische Anlagen besonders einfach, die weitere Verarbeitung der Fasern in bestehenden Prozeßketten vorzunehmen, zum Beispiel in den längst vorhandenen Baumwoll-Rotorspinnereien. In den physikalisch-chemischen Anlagen kann eine wesentlich höhere Faserausbeute pro Pflanze erzielt werden, und zudem ist es möglich, die Fasereigenschaften auf die jeweiligen Bedürfnisse des Weiterverarbeiters einzustellen.

Die meisten mechanischen Anlagen bestehen aus einer Brecher- Entholzer-Einheit sowie verschiedenen Öffnungs- und Reinigungsstufen, ermöglichen also in erster Linie die Automatisierung der traditionell von Hand verrichteten Arbeitsgänge. Die physikalisch- chemischen Verfahren ersetzen vor allem das Brechen und Schwingen – allerdings sind auch hier mechanische Komponenten zur Vor- und Nachbereitung unerläßlich.

Eines dieser Verfahren hat das Institut für angewandte Forschung an der FH Reutlingen entwickelt: Bei diesem Dampfdruckaufschlußverfahren werden die entholzten Fasern in Wasser und Natronlauge gelegt, wo man sie dann hohen Temperaturen und Drücken aussetzt. Sie reagieren und werden schließlich schlagartig entspannt, wobei dann alles wegbröckelt, was nicht Faser ist. Die Fasern sollen hierbei besonders für hochwertige technische Anwendungen geeignet sein, etwa als Glasfaserersatz. Das nova-Institut erwartet, daß sich die Neuentwicklung „ohne großes technisches oder ökonomisches Risiko“ im Industriemaßstab umsetzen läßt.

Eine Faser ähnlicher Qualität lasse sich mit dem „Flasin“-Verfahren einer Hamburger Firma gewinnen. Details über den Kochprozeß mag man bei Windrlich& Schürer nicht rausrücken, aber es wird orakelt: „Flasin ist möglicherweise eine Revolution. Aber zunächst ist es eine Herausforderung.“

Ganz anders dagegen funktioniert der Ultraschallaufschluß, der bei ECCO-Gleittechnik in Seeshaupt entwickelt wurde. Das Hanfstroh wird in Wasser gelegt, dem schwache Chemikalien zugegeben werden, und unter Ultraschallbeschuß gesetzt. Dabei entstehen kleine Bläschen, die implodieren und dabei die Faser freilegen. Eine Pilotanlage steht seit kurzem in Köln.

Unumstritten sind diese neuen Methoden aber auch innerhalb der Hanf-Lobby nicht. „Die Ultraschallmethode ist längst weg vom Tisch“, kommentiert Matthias Schillo, Geschäftsführer der Berliner TreuHanf. „Und die anderen Verfahren gehören ins Mittelalter – was nützt ein chemischer Aufschluß, wenn das Hanfstroh doch noch mechanisch vor- und nachbereitet werden muß?“

Schillo favorisiert ein völlig anderes Verfahren, das eher zufällig als Methode zum Hanfaufschluß entdeckt wurde. Entwickelt wurde es von der Firma Wisa in Genthin, die sich eigentlich der Energiegewinnung in Biogasanlagen widmet. So wurde dort in den letzten Jahren eine Anlage entwickelt, die zunächst mit Mais betrieben wurde – in letzter Zeit ist man dann auch auf Hanfbetrieb umgestiegen. Wisa-Ingenieur Hans-Peter Winkler erklärt: „Wenn man die Pflanze drei Wochen lang in der Gülle gären läßt, löst sie sich völlig auf. Aber wenn man sie nach einer Woche rausholt, sind die Fasern noch übrig.“ Wenn man die dann trocknet, erübrigen sich Brechen, Schwingen und Hecheln. Was vorher viel Arbeitskraft kostete, übernimmt jetzt das Methan. So entsteht praktisch als Nebenprodukt der Energiegewinnung ein wertvoller Rohstoff. Winkler glaubt inzwischen, „daß der Hanf-Aspekt der Anlage bald wichtiger sein könnte als die Energiegewinnung“.

Eine erste große Pilotanlage, die zunächst auf reine Energiegewinnung ausgelegt ist, entsteht gerade im altmärkischen Iden. Die Erweiterung mit dem Schwerpunkt Hanf wird gerade geplant – hier wird sich zudem zeigen, ob und inwiefern der Prozeß die Qualität der gewonnenen Rohfaser beeinflußt. Wenn die Sache anläuft, wie Schillo sich das vorstellt, werden demnächst Kraftwerke als eigenständige Gesellschaften entstehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen