: Statt zur Arbeit: Ab nach Hanoi
Wenn die Polizei beim Zähneputzen klingelt: Ein Ehepaar aus Hannover entkommt knapp dem ersten Massenrausschmiß von Vietnamesen über Berlin-Schönefeld. Szenen einer Abschiebung ■ Von Frank Hofmann
Mit blassem Gesicht mustert Thi Xuan Huong Pham die vier Kartons und die beiden Koffer auf dem Flur. Vor etwas mehr als 24 Stunden dachte sie noch, sie würden ihr letztes Hab und Gut bergen. Eine Stereoanlage, ein Videorekorder, Klamotten und ein paar tausend Mark Bargeld. Nun sitzt sie wieder in ihrem Wohnzimmer. Eine Freundin ist gekommen.
Ihre Abschiebung in die vietnamesische Hauptstadt Hanoi über den Berliner Flughafen Schönefeld war penibel geplant. Um Viertel nach vier in der Frühe klingeln am Dienstag fünf Polizeibeamte – zwei Frauen, drei Männer – an ihrer Tür im Hannoveraner Stadtteil Linden. „Ich war gerade dabei, meine Zähne zu putzen, um mich für die Arbeit fertigzumachen“.
Pham denkt, Betrunkene stehen vor der Tür
Sie denkt, Betrunkene oder Einbrecher ständen vor der Tür und ruft die Polizei an. Der Beamte am anderen Ende der Leitung sagt ihr, sie solle den vermeintlichen Halbstarken die Tür öffnen. Das seien Kollegen. Sie werde abgeschoben.
Die dreißigjährige Vietnamesin nimmt beim Erzählen kaum die rechte Hand vom Mund. Pham zittert. Sie kämpft mit den Tränen, jetzt, nachdem der Horrortrip nach Berlin erst mal vorbei ist. Es ist Mittwoch abend. Die vergangenen Stunden ziehen noch mal an ihr vorbei.
Zusammen mit ihrem Mann Hoang ist sie gerade zurückgekehrt in ihre bescheiden eingerichtete Dreizimmerwohnung in Hannover – wenige Meter entfernt von der Polizeistation, in der sie vor knapp 40 Stunden auf die Abschiebung vorbereitet wurde. „Ich war eine Stunde lang in einer Zelle ohne Licht, mir war kalt, sie haben mir nur eine Hose und eine leichte Bluse gelassen“, sagt sie. Zuvor hatten ihr die Uniformierten Schmuck und Uhr abgenommen.
Zu diesem Zeitpunkt steht Pham kurz vor einem Nervenzusammenbruch und denkt nur noch an eins: „Ich wollte auf meiner Arbeit Bescheid sagen, daß ich nicht kommen kann.“ Doch die Polizistinnen, die sie von Kopf bis Fuß abtasten, wissen das zu verhindern.
Die Service-Chefin in dem Hannoveraner Hotel, in dem Pham arbeitet, beginnt sich zu wundern. Schließlich ist die Vietnamesin bisher immer pünktlich zu ihrer Schicht erschienen. Später am Nachmittag – und informiert durch Freunde des Paares – ruft die Chefin dann bei der Ausländerbehörde an, um ihr Unverständnis über die frühmorgendliche Abschiebeaktion zu äußern. Doch da sind Thi Xuan Huong Pham und ihr Mann Duc Hoang schon auf dem Weg nach Berlin-Schönefeld.
Die Polizisten machen Druck. Die Zeit ist knapp
Duc Hoangs Festsetzung am frühen Morgen lief nicht weniger abenteuerlich ab: Kurz nach fünf Uhr früh überraschen die Polizisten ihn auf seiner Arbeitsstelle. Der 34jährige Vorarbeiter ist in der letzten Stunde seiner Nachtschicht, als die Beamten ihn auffordern, mit ihnen auf das neunte Revier zu kommen, wo seine Frau schon in der Zelle sitzt – um anschließend innerhalb von einer halben Stunde ihre Sachen zu packen.
Die Polizeibeamten machen Druck: Die Zeit ist knapp. Um 15.10 Uhr geht die Maschine DE 9212 des Urlaubsfliegers Condor von Berlin-Schönefeld nach Hanoi.
Die beiden seit über acht Jahren in Deutschland lebenden Vietnamesen werden zusammen mit zehn anderen in vier VW-Bussen vom Sammlungspunkt Langenhagen bei Hannover nach Berlin gefahren, wo die Chartermaschine für sie bereit steht.
Es ist das erste Mal seit der Unterzeichnung des deutsch-vietnamesischen Rückführungsabkommens vom letzten Jahr, daß es eine solche Sammelabschiebung mit einem eigens gecharterten Flugzeug gibt. 239 sich illegal in der Bundesrepubik aufhaltende VietnamesInnen werden an diesem Tag um 15.10 Uhr tatsächlich losfliegen. Zufrieden meldet das Innenministerium am nächsten Tag den Vollzug.
Die Abschiebungen waren trotz des Abkommens zunächst nicht in Gang gekommen, weil Vietnam vor allem die Rücknahme ehemaliger Vertragsarbeiter aus der DDR verweigerte. Anfang Juni führten zwei Staatssekretäre im Auftrag der deutschen Innenministerkonferenz erneut Gespräche in Hanoi, um letzte „ungeklärte Punkte“, so der Berliner Innensenator Schönbohm (CDU), zu besprechen. Offensichtlich mit Erfolg.
Hoang und Pham indes haben Glück im Unglück: Während der Flugvorbereitungen bricht die zarte Vietnamesin im Schönefelder Abschieberaum des Bundesgrenzschutzes zusammen. Der Flughafenarzt bescheinigt ihr: „nicht transportfähig“. Am späten Dienstag nachmittag steht Hoang neben seiner Frau, die sich auf einer Liege in der Sozialstation der Diakonie auf dem Schönefelder Flughafen ausruht.
„Sie stand in den letzten Monaten unter einem ungeheuren Druck“, erinnert sich Brigitte Dörfler*. Die 44jährige Freundin des Paares hat die beiden bei ihrer Rückkehr nach Hannover in der Wohnung empfangen und streicht nun mit sanfter Bewegung über Phams Hand. Wie abwesend kauert Pham neben ihr auf dem grünen Feinkordsofa. Pham erhält seit einigen Wochen eine Hormonbehandlung, hinzu kam die Ungewißheit über die Zukunft in Hannover und dann die Abschiebung: „Das war zuviel für solch ein sensibles Wesen“, unterstreicht Brigitte Dörfler.
Ganz abgesehen davon, daß die beiden Vietnamesen in Hannover ein ganz normales Leben geführt haben, brave Steuerzahler waren, eine Wohnung haben. Gleich nachdem sie vor vier Jahren in die Stadt gekommen waren, haben sie auch unter den Deutschen schnell Freunde gefunden.
Das war den Beamten der Ausländerbehörde egal. Auch daß die beiden keine Sozialhilfeempfänger sind und auch sonst keine behördliche Unterstützung brauchen, zählte nicht. Es kam allein auf ein Delikt von vor vier Jahren an. Damals war Duc Hoang beim Schwarzfahren erwischt worden. Die Verurteilung zur Zahlung einer Strafe von 560 Mark reichte aus, um die beiden jetzt ohne jede schriftliche oder mündliche Vorankündigung abschieben zu wollen.
Es zählte allein das Schwarzfahren
Einige der am Dienstag über Berlin-Schönefeld abgeschobenen 239 Vietnamesen konnten sich zwei Wochen lang auf die Heimreise vorbereiten. Die für Pham und Hoang zuständigen Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde Hannover haben es vorgezogen, das junge, fest in ihrem Lebens- und Arbeitsalltag verhaftete Paar mit einer Nacht- und Nebelaktion zu überraschen. Das merkt man den beiden noch an.
Hoang lehnt mit tiefen dunklen Ringen unter den Augen an dem Wohnzimmerbüffet, das er und seine Frau sich mit dem ersten ersparten Geld gebraucht gekauft haben. In den vergangenen vier Jahren haben die beiden versucht, sich eine Existenz in der Bundesrepublik aufzubauen.
„Ich bin von Prag aus, wo ich als Vertragsarbeiter gearbeitet habe, nach Hannover gekommen und habe sehr schnell Arbeit gefunden“, blickt Hoang zurück. Als die beiden dann vor sieben Monaten zum letztenmal eine Duldung mit dem Verweis erhielten, diese laufe nach Unterzeichnung des Rückführungsabkommens durch die vietnamesische Regierung aus, begannen sie über Alternativen nachzudenken. „Wir wollen Deutschland ja verlassen, aber doch nicht so“, sagt er.
Sie wollen schon weg – aber nicht über Nacht
Auf dem Tisch liegt das Einladungsschreiben von Phams Onkel in Australien. Die beiden planen seit dem Frühjahr, auf den fünften Kontinent umzusiedeln. „Es fehlen noch ein paar Dokumente aus Hanoi“, sagt Brigitte Dörfler. Ansonsten steht der Übersiedlung nichts im Wege – die australischen Behörden lassen ihren Bürgern noch immer die Möglichkeit der Familienzusammenführung.
„Doch für diese ganzen Vorbereitungen brauchen wir mehr Zeit“, sagt Hoang. An diesem Abend, 40 Stunden nach der mißlungenen Abschiebung, ist völlig unklar, ob ihnen die deutsche Ausländerbehörde diese Zeit noch geben wird.
*Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen