In diesem Jahr keine Abgabe für Betriebe, die nicht ausbilden

■ SPD verzichtet auf Gesetzentwurf zu bundesweiter Ausbildungsabgabe. Umlagen der Kammern befürwortet

Bonn (taz) – Die SPD wird in nächster Zeit keinen Gesetzentwurf vorlegen, dem zufolge Betriebe, die keine Lehrstellen anbieten, zur Kasse gebeten werden. Zwar wird eine Vorlage für eine bundesweite Ausbildungsplatzabgabe erarbeitet, aber dabei handelt es sich um „eine Vorbereitung für die Schublade“, die „nicht mehr in diesem Jahr“ eingebracht werden soll, wie SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering gestern erklärte.

Den schwelenden parteiinternen Streit um das geeignete Finanzierungssystem für die berufliche Bildung haben damit – zumindest vorläufig – die Anhänger des sogenannten Kammersystems für sich entschieden. Es sieht einen Finanzausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben innerhalb der Bezirke der Handwerkskammern und der Industrie- und Handelskammern vor. Der Ausgleich fände auf regionaler Ebene statt.

Kritiker befürchten, daß mit diesem System die Probleme ärmerer Regionen nicht zu lösen seien. „Die Kammerregelung kann nicht ausreichend Arbeitsplätze schaffen, weil sie keinen Ausgleich zwischen strukturstärkeren und -schwächeren Gebieten ermöglicht“, meint die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles. Das System könne allenfalls in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen, nicht aber in Thüringen funktionieren, wo schon jetzt der größte Teil der Ausbildung aus staatlichen Mitteln finanziert werde. Von der Industrie werde ohnehin jedes System, demzufolge nicht ausbildende Betriebe zahlen müßten, abgelehnt.

Demgegenüber erklärte Müntefering, bei Vertretern der Kammern vor Ort sei eine Bereitschaft zur Einführung des Systems vorhanden. „Je näher an der Basis, desto pragmatischer. Die Botschaft ist: Das geht.“ Der SPD- Bundesgeschäftsführer räumte allerdings ein, daß er bei den Funktionären des Deutschen Industrie- und Handelstages diese Bereitschaft „nicht erkennen“ könne.

Müntefering stellte der Presse die Ergebnisse einer vom SPD- Präsidium beauftragten Arbeitsgruppe vor, die sich mit den unterschiedlichen Finanzierungssystemen zur beruflichen Bildung befaßt hat. Er wies in diesem Zusammenhang auf einen „dramatischen Rückgang“ neuer Ausbildungsverträge in den vergangenen zehn Jahren hin und erklärte: „Die von der Wirtschaft zugesagte Steigerung von zehn Prozent in 1995/96 wurde nicht erreicht und liegt tatsächlich nur bei 2,5 Prozent.“ Besonders angespannt ist die Lage in den neuen Bundesländern, wo auch die Jugendarbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist.

Zur Bekämpfung der Lehrstellenknappheit fordert die SPD, die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Erfüllung der anteilmäßigen Ausbildungspflicht der jeweiligen Betriebe zu knüpfen. Darüber hinaus solle die Bundesanstalt für Arbeit im Oktober bundesweit in jedem Arbeitsamtsbezirk eine Azubi-Konferenz einberufen, um eine aktuelle „und ehrliche“ Bilanz der Ausbildungsplatzsituation in den Regionen zu erstellen.

Gefordert wird von der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft außerdem eine „Flexibilisierung“ der Berufsschulen. Die SPD rückt damit auch von eigenen früheren Positionen ab. So sagte Müntefering, der Besuch der Berufsschule müsse „nicht unbedingt zwei Tage pro Woche über die ganze Lehrzeit“ erfolgen. Zwar solle die Gesamtstundenzahl des Unterrichts beibehalten werden, aber ihm erschiene die Tendenz „vernünftig“, daß die Berufsschule zu Beginn einer Ausbildung eine stärkere Rolle spiele als an ihrem Ende. Der SPD-Bundesgeschäftsführer warnte davor, daß die betriebliche Ausbildung an Bedeutung zu verlieren drohe. Bereits jetzt kämen 37 Prozent der Berufsanfänger von Fachhochschulen oder Universitäten. Mittelfristig drohe in bestimmten Branchen ein Mangel an Facharbeitern. Bettina Gaus