: „So etwas hätte mir nie passieren dürfen“
■ Drei Mütter und die Backpfeife: Ein Gespräch über den Moment des Ausrastens und wie schwer es manchmal ist, nicht zuzuschlagen. Und über Schuldgefühle, wenn es doch passiert
Anja (30): Mir sind einmal die Nerven durchgegangen. Das war vor gut vier Jahren, als meine zweite Tochter gerade geboren war. Hanna, die erste, war damals vier. Ein paar Tage vorher hatte ich mir ein teures Puder für sechzig Mark geleistet. Abends kam ich dann ins Bad, und da lag es — hinter der Waschmaschine, neben der Wanne, auf dem Fußboden. Ich war völlig entnervt, hab mir Hanna gegriffen, hab rumgebrüllt, sie geschüttelt und mehrmals kräftig zugeschlagen — ins Gesicht. Meine Tochter wußte gar nicht, wie ihr geschah. Sie war fix und fertig. Das Schlimmste: Nachher kam heraus, daß Hanna gar nicht schuld war, sondern mein Freund.
Anita (50): Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie man Kinder ins Gesicht schlagen kann. Auch wenn man wahnsinnig wütend ist. Natürlich bin ich bei Kolja auch x-mal ausgerastet, weil ich überlastet war, weil ich nervös war. Kolja ist heute 24. Aber früher, da hatte ich es eben eilig, und der Kerl wollte nicht, machte sich schwer, wurde zur Gummipuppe, so daß ich ihn nur noch hinter mir herzerren konnte. Wenn ich dann ausgerastet bin, hab ich ihn geschüttelt und angebrüllt. Einmal hab ich ihm auch hinten eins draufgegeben. Aber ich hab' ihn nie ins Gesicht geschlagen.
Anja: Was mir damals mit Hanna passiert ist, fand ich furchtbar. Das widersprach all meinen Überzeugungen. So was hätte nie passieren dürfen, und es ist mir auch nie mehr passiert. Ich hab' mich natürlich bei Hanna entschuldigt. Aber noch heute sagt sie manchmal, wenn wir uns streiten: „Du, ich weiß sowieso nicht mehr, wie ich mit dir klarkommen soll, nachdem das passiert ist.“
Anita: Ein Schlag ins Gesicht ist doch die größte Demütigung, die man jemandem antun kann. Meine Hemmschwellen waren immer so hoch, daß ich meinen Sohn nie geohrfeigt habe.
Christine (39): Ich kenne auch Situationen, wo Lion und ich uns gegenseitig zur Weißglut getrieben haben. Lion ist jetzt neun, heute kann ich mit ihm reden. Aber so vor drei Jahren, da schmiß er sich manchmal morgens auf den Boden und brüllte, „Ich geh nicht zur Schule! Ich geh nicht!“ Wenn ich dann mit meinem Latein am Ende war, hab ich ihn mir auch genommen, ihn angebrüllt und geschüttelt. Am schlausten wär es natürlich, gelassen zu bleiben, erst mal rauszugehen. Aber wenn mir das nicht gelungen ist, wenn ich plötzlich völlig außer mir war, dann hab' ich ihn mir gepackt. Ins Gesicht geschlagen hab' ich Lion nur einmal.
Anita: Ich versteh' gar nicht, warum es bei solchen Ohrfeigen nicht automatisch eine Hemmschwelle gibt. Immerhin sind das kleine Kinder! Die sind einen Meter kleiner als du! Da mußt du dich bücken oder nach unten schlagen! Warum setzt da nicht sofort eine Hemmung ein? Eigentlich müßte einem doch die Hand abfallen!
Christine: Das wär' praktisch.
Anita: Das Schlimmste bei einer Ohrfeige ist doch nicht, daß sie weh tut, sondern die Demütigung. Die verkraften Kinder nur schwer. Beim Schütteln oder Brüllen ist das was anderes. Ab und zu pack' ich ja auch Erwachsene an den Schultern und schüttle sie. Aggressionen sind eben manchmal da, und dann muß man sie auch zeigen. Anschließend schüttelt man das Ganze von sich ab, und dann ist es erledigt. Aufgezeichnet von Petra Specht
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