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In der Pointenschleuder

■ Georgette Dee mit ihrem neuen Programm „Schon schön“

Träume müssen so richtig geschäumt werden, Alpträume desgleichen. Kommt so ein Gefühl erstmal riesig und pathetisch aus der Seele raus, ist es der Kunst frei zugänglich und wird – in diesem Fall im Gesangsstil der 20er Jahre – frei übertragbar.

„Am besten ist es morgens verlassen zu werden – dann hat man noch was vom Tag!“ singt Georgette Dee. Die Chanseuse und Diseuse, Frau und Mann, befeuert sich im neuen Programm Schon schön, in der Rolle der – von wievielen eigentlich? – Sitzengebliebenen und Alleingelassenen vor allem mit eigenen Kompositionen. Vorbei die Zeiten des „Gib mir Liebeslied“, jetzt ist „Gib mir Drama“ angesagt. Der Liebe Zweiter Teil, Fortsetzung von Verknalltheit im Alltag oder: Wie geht es nach der Kuß-Schluß-Szene weiter?

Laut Georgette gibt es immer mehrere Möglichkeiten: Voll pathetischer Anklage („Ich will Deine Knochen im Neonlicht meiner Küche blinken sehen“) über abgeklärt zynisch („Ich mach doch jetzt keine Betroffenen-Gruppe auf“) bis makaber-tröstlich („Wenn ich meinen Körper so ansehe, dann finde ich das ganz richtig, daß der mal sterben muß“).

Auch der Stolz einer abgelegten Liebe ist Thema eines Stückes: „Haß wird zu Kunst und dann braucht man nicht mal mehr einen Kuli.“ Der Verpflichtung, ewig liebevoll-liebestoll bleiben zu müssen, entzieht sich die schöne, schlaue Grand Dame inzwischen mit einer dicken Portion Weisheit und Reflexionen über die reifen Jahre. Das wirkt manchmal so unmittelbar, daß dem Publikum das Lachen schon mal im Hals stecken bleibt. Feingeistig, zartbitter analysiert sie „Das Reizende Paar“ als gesellschaftspolitisches Ereignis und die „Autobahn der Liebe“, auf deren Pannenstreifen die außer Verkehr Gesetzten parken.

Zum leicht wehmütigen Grundton trägt auch das Orchester bei, bestehend aus 16 jungen, süßen, aber ein bißchen müden Streichern, Celli und Bässen – auffallend vielen Frauen. Begleiter Terry Truck dirigiert die Streicherpartie und streichelt das Piano mit tief in sein Gesicht eingegrabenem Ausdruck von Erstaunen – Resultat seiner Jahre mit Georgette? Zwischen den Tragedy-songs erhebt sich Pointenschleuder Georgette aus den Liebestrümmern souverän voll medeischem Lebensgefühl und vermittelt Spaß am Alltag. An Nestroy erinnerte der Sprechgesang „Ich dich nicht, du mich nicht, weiß ich nicht, magst du mich? Und die Moral von der Geschicht: fürchte dich nicht!“

In einem schlichten schwarzen Samtkleid und passendem Tischtuch läßt Georgette Dee nur ab und an ihre Stimme wegdröhnen. Blumen, Bussis und mehrere Zugaben folgen dem vierstündigen Erlebnis.

Kerstin Kellermann

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