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Die Dreigroschenoper

■ Bruno Ganz im Tatort zum Sparpaket: "Schattenwelt", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

I. Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Bayerische Rundfunk einen Film drehen lassen, in dem die Elendsten der Elenden jenes Aussehen erhielten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach.

Es wird Sonntag abend sein, das zweite Mal nach der Verabschiedung des Bonner Sparpakets durch die Kanzlermehrheit. Im Vorraum der Sparkasse um die Ecke wird wieder ein Bettlerpärchen im Flimmern der Geldautomatenbildschirme eine geheizte Nacht aushalten, während es draußen schon empfindlich kalt ist. Vor den Bildschirmen in den Wohnzimmern wird das Publikum, so es zur ARD gefunden hat, an diesem Abend Urteile über den Haufen geworfen bekommen, die es über den Unterschied von guten und gutgemeinten Filmen, über das Verhältnis von Kritik und Krimi sich zu bilden jahrzehntelang Zeit hatte.

II. Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse (Teil 1).

Es wird an diesem Abend einen „Tatort“ sehen, der als Protagonisten einen Bettler (Bruno Ganz) mit Doktortitel hat nebst einem gelackten Merdeces-Fahrer, der aussieht wie Uwe Barschel und sich als „Wohltätigkeitsmanager“ verdingt. Bombadil und seine Mitbettler hausen unten, der feine Ingmar Borg und seine sauberen Mitmillionäre sind in ihrer Beletage stets in Untersicht zu sehen. Das Publikum wird den Kapitalismus sehen, nicht wie er ist, sondern eine groteske Fratze davon. Es wird erkennen, wie fies die Kapitalistenvisage, wie angeklebt die Bettlerbärte aussehen.

III. In derselben Nacht rüstet Bombadil zum Aufbruch.

Voller Spannung wird es bestaunen, wie sich die gesetzlosen Bettler an dem gesetzlosen Geldhai rächen. Der nämlich hat einen der Ihren überfahren. Bombadil, einst Mann des Gesetzes, hat sich vom Gesetz ganz abgewandt, selbst vom Gesetz der Rache, welches das Gesetz des Bettlerkönigs Rabe ist. An das Gesetz der Gerechtigkeit, an das Gesetz des Staates glaubt hier keiner mehr.

IV. Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse (Teil 2).

Denn das Gesetz des Staates heißt: Bettler werden fortgefegt wie Dreck. Dicke Bullen paktieren mit dem reichen Fiesling. Allein die „Tatort“-Kommissare rücken die Verhältnisse ins rechte Licht. Kriminaler Ivo Batić übernimmt gar die Rolle eines Bettlers. Und so, das wird verraten, wird hier der Haifisch zum Haifisch.

V. Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens.

Gitter fallen. „Automatiktür“, dräut die Handlungslinie dem Verbrecher zu Beginn. Nebel in Blau. Weite Räume bauen sich auf. Parkhaus. Kirche. Bunker. Dramatik im Licht. Lange Schatten. Große Monologe. Zwischen dem Zuschauer und dem Schauspieler findet ein Verkehr statt. Die Bildführung setzt Zeichen ins Fernsehen. Regisseur Josef Rödl baut eine abgeschlossene Welt voll Spannung, aber läßt auch noch Beziehungen zu anderen Vorgängen als denen der Fabel ziehen. Lutz Meier

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