In der Banlieue ist alles noch viel härter

Auf Anordnung des Erziehungsministers diskutierten Jugendliche an allen Schulen Frankreichs gestern zwei Stunden über Gewalt. Premier Juppé appelliert „gegen das Gesetz des Schweigens“  ■ Aus Paris Kathrin Hondl

„Es war okay, darüber zu reden, aber auch ein bißchen lächerlich.“ Jennifer ist 16 Jahre alt und Schülerin des Lycée Colbert, eines Gymnasiums im 10. Arrondissement von Paris. Wie fast alle Schülerinnen und Schüler in Frankreich redete Jennifers Klasse gestern zwei Stunden lang über das Thema Gewalt.

Erziehungsminister François Bayrou hatte zu dieser Diskussion aufgefordert, nachdem am Dienstag ein Schüler in Montereau, südöstlich von Paris, einen Klassenkameraden erschossen hatte. Gewalttaten, sei es von Jugendlichen untereinander oder auch gegen ihre Lehrer, hatten in jüngster Zeit in Frankreich zugenommen.

Erst am vergangenen Samstag war ein 14jähriger mitten in Marseille von einem nur ein Jahr älteren Jugendlichen auf offener Straße erstochen worden. Gestern vormittag nun, in der Doppelstunde von zehn bis zwölf, sollten sich auf Anordnung des Erziehungsministers Bayrou Schüler, Eltern und Lehrer zwei Stunden lang mit den Ursachen der Gewalt und möglichen Lösungswegen beschäftigen. Frankreichs Premierminister Alain Juppé hatte die Jugendlichen bereits am Donnerstag bei einer Veranstaltung mit 200 Schülern im südfranzösichen Montpellier aufgefordert, „das Gesetz des Schweigens zu durchbrechen“.

Daß die vom Minister initiierte Gewaltdiskussion in ihrer Klasse eher lächerlich verlief, lag, so Jennifer, am Lehrer. Der Mathelehrer habe nicht viel zu sagen gewußt. „Der hat von Drogen und Alkohol und so geredet. Das war ziemlich daneben.“

An Jennifers Gymnasium mitten in Paris ist Gewalt kein Problem. Sie weiß aber, daß es in der Banlieue, in den Vorstädten, anders zugeht. Denn bis vor zwei Jahren ging Jennifer in Aulnaysous- Bois im Norden von Paris zur Schule, dort, wo sie mit ihren Eltern auch wohnt. Und weil sie die agressive Stimmung in der Vorstadtschule nicht mehr ertrug, fährt sie täglich mit dem Zug nach Paris. „Das ging nur über Beziehungen“, sagt sie und ist sicher ihrer Privilegiertheit bewußt.

Auch ihre Klassenkameraden Déborah und David wohnen nicht in Paris, gehen aber hier zur Schule. „Die Schulen in der Banlieue sind uns zu hart“, darin sind sich die drei einig. Was soll gegen die Aggressivität in der Schule getan werden? Déborah, Jennifer und Davin sind für Metalldetektoren, wie es sie in einigen Schulen bereits gibt und mit denen Schüler nach Waffen durchsucht werden.

Daß das Filzen der Schüler letztlich aber keine Lösung des Problems ist, wissen diese Pariser Gymnasiasten auch. „Das Problem sind die Familien“, sagt Déborah, „die Eltern kümmern sich nicht um die Kinder.“ Und Jennifer fügt hinzu: „Ich glaube, es liegt am Rassismus.“ Und David: „Ich weiß nicht, was man tun soll. Man kann ja nicht jeden nach Messern und Revolvern durchsuchen.“