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Giftmüll macht Kiesloch zur Goldgrube

Im bayrischen Kleinostheim landeten vor vier Jahren 40.000 Tonnen Giftabfälle im Wasser- und Landschaftsschutzgebiet. Jetzt stehen zwei Verantwortliche vor Gericht  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Ab Montag stehen sie in Aschaffenburg vor Gericht: Klaus Schultz, Geschäftsführer der Firma Erwin Schultz in Kleinostheim, und sein Projektleiter Folkard Kaess. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht wirft ihnen vor, gemeinsam Abfälle umweltgefährdend beseitigt zu haben. Außerdem sollen die beiden eine Müllanlage unerlaubt betrieben haben.

Die Aschaffenburger Staatsanwälte haben ermittelt, daß Schultz und Kaess im Lindigswald in der bayrischen Gemarkung Kleinostheim bei Aschaffenburg große Mengen von Material entsorgt haben, die langfristig Boden und Wasser verdrecken können. Ausgerechnet in einem ausgewiesenen Wasser- und Landschaftsschutzgebiet wurden die Exkremente der Zivilisation abgeladen.

Das Gelände gehört zu zwei Dritteln der Deutschen Bahn AG und zu einem Drittel dem Stiftungsamt Aschaffenburg. Vor rund 25 Jahren wurde dort der Wald gefällt, um die Sand- und Kiesvorkommen ausbeuten zu können. Die Firma Erwin Schultz hatte das Land zu diesem Zweck gepachtet. Vereinbart war, daß nach dem Abbau das riesige Loch mit unbelastetem, wasserunschädlichem Erdmaterial wieder niveaugleich aufgefüllt werden sollte. So stand es im Vertrag mit der Erwin Schulz GmbH. Und auch der Planfeststellungsbescheid von 1972 hält diese Auflage der Grundstückseigentümer und des Landratsamtes in Aschaffenburg fest. In einer wasserrechtlichen Anordnung aus dem Jahre 1990 verpflichtete der Landrat die Firma erneut, sich nach der endgültigen Ausbeutung strikt an die Vertragsbedingungen zu halten: Dort, wo einst der Lindigswald stand, sollte wieder Lindigswald hin.

Tatsächlich begann die Firma aus Kleinostheim 1991 mit der Verfüllung der gewaltigen Grube. Doch was dort in den Jahren 1991 und 1992 von den Ladeflächen zahlloser Lastwagen in die Tiefe glitt, war nicht das geforderte „unbelastete, wasserunschädliche Erdmaterial“. Die Schultz GmbH & Co. KG verbuddelte vielmehr mindestens 40.000 Tonnen sogenannter Absiebrückstände der Firma EUMET Metall-Recycling GmbH Frankfurt/Main – nicht wiederverwertbare Reste aus geschredderten Autowracks, Haushaltsgeräten und Elektronikteilen. Auch schadstoffintensive Schlämme und Filterkuchen ließen die Manager in die offiziell geschützte Landschaft kippen. Auf einer entsprechenden Giftmülldeponie der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) hätte die fachgerechte Entsorgung des Materials rund 500 Mark pro Tonne gekostet. Denn die Abfälle waren hoch belastet: mit Kohlenwasserstoffen, PCB und Schwermetallen.

Für die EUMET kam die Sache zunächst sehr billig: Sie zahlte dem Müllvermittler Manfred Hampel nur rund 60 Mark für die illegale Entsorgung jeder Tonne ihrer Absiebrückstände. Dafür besorgte Hampel eine Transportfirma, die mit ihren Lastwagen den giftigen Abfall bei EUMET abholte und zur Grube Lindigswald transportierte. Der Transportfirma Wellnitz aus Wiesbaden zahlte Hampel exakt 43 Mark pro Tonne. Die übrigen 17 Mark steckte Hampel als „Vermittlungsgebühr“ in die eigene Tasche – in der auf diese Weise rund 630.000 Mark hängenblieben.

Und ein letztes großes Schnäppchen machte dann noch einmal die Sand- und Kiesfirma Schultz, die das giftige Zeug in der Grube Lindigswald unterpflügte. Statt teure Muttererde ankaufen zu müssen, erhielt die Firma vom Transportunternehmen Wellnitz sogar noch Geld für die Annahme des illegalen Füllmaterials: rund 23 Mark für jede Tonne.

Alle waren zufrieden – und fast wäre alles für die „Giftmüllmafia“, wie Eduard Bernhard vom Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) aus Kleinostheim die Konstruktion nennt, auch gutgegangen. Doch ein aufmerksamer Spaziergänger beobachtete in der Kraterlandschaft einen Abladevorgang. Die „Erde“ glitzerte in der Sonne, entdeckte der Mann. Und überall waren bunte Partikel zu sehen. Am Abend kam der Mann, der Mitglied des BUNDes Naturschutz in Bayern ist, mit dem Sandkasteneimerchen seines Sohnes zurück und sammelte eine Bodenprobe ein. Der Zeuge staunte nicht schlecht, als er bei näherem Hinsehen im Eimer Teile von Halbleitern entdeckte.

Kurze Zeit später, im Mai 1992 erstatteten der BUND, die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die Grünen im Kreisverband Aschaffenburg und die damalige bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen, Christine Scheel, Strafanzeige gegen die Firma Schultz, gegen EUMET und auch gegen „Vermittler“ Hampel bei der Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg. Die ermittelte vier Jahre lang im bislang „größten Umweltskandal auf bayerischem Boden“, wie die Bündnisgrünen damals sagten.

Auch die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main beschäftigte sich mit den Machenschaften der Firma EUMET und anderer Schrott- und Schredderfirmen im Frankfurter Osthafen. 1992 erhielt die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang 87 richterliche Durchsuchungsbeschlüsse und drei Haftbefehle, die auch vollstreckt wurden. Oberstaatsanwalt Hardth sprach sogar von einem Tatverdacht auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ – ein Vorwurf, der jetzt allerdings in der Anklage gegen Schultz und Kaess vor dem Landgericht in Aschaffenburg keine Rolle mehr spielt.

Kaess ist übrigens vorbestraft – wegen Urkundenfälschung und anderer Delikte. In drei Fällen wurden gegen den Mann teils erhebliche Freiheitsstrafen verhängt. Kuriosum am Rande: Kaess, Jahrgang 1944, wurde im Oktober 1994 zum Gastprofessor für Geologie an der Universität Bosten ernannt. Schwerpunktthema: Einsatzforschung für recycelte Altbaustoffe und Koordination der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.

Von allen Beteiligten wurde bislang nur Vermittler Hampel wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung verurteilt: zu einem Jahr Freiheitsentzug – ausgesetzt zur Bewährung.

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