■ Ein kleines Drama in Originalzeugnissen von Rainer Link: Die Fahndungspanne
Die Personen:
Oberamtsrat P. – ein Muster an Pflichterfüllung
Nicole Z. – eine Täterin mit gebremster Reue
Kommissar P. – ein Beamter, wie er nicht sein sollte
Dorfpolizist – ein dienstbeflissener Bürger in Uniform
Staatsanwalt E. – ein Jurist wie viele
Richter U. – ein Mann mit klaren Grundsätzen
1. AKT:
Polizeistation Waldhagen. Auszug aus der Zeugenanhörung des Oberamtsrats P.:
„Am Sonntag, den 14. 8. 95, unternahm ich ab 14 Uhr in meiner Eigenschaft als amtierender Leiter der örtlichen Ordnungsbehörde eine Kontrollfahrt per Fahrrad zur Badestelle am Baggersee, um dort die Abläufe und insbesondere das Verhalten der mit Pkw oder Motorrad anreisenden Badestellenbesucher sowohl im Bereich Brezelweg als auch auf der Badestelle zu prüfen. Der Brezelweg- Schlagbaum am Weg Nr. 64 war zu diesem Zeitpunkt verschlossen.
Nachdem ich auf einem Notizzettel mehrere Fahrzeuge notiert hatte, die auf dem für Fahrzeuge und Motorräder gesperrten Teil des betreffenden Weges unmittelbar vor dem Schlagbaum parkten, fuhr ich weiter. Ich sah, daß sich über die oben angeführte Wiese mehrere Pkw der nördlichen Ausfahrt zum Weg 64 näherten. Ich hielt an und wartete, bis sich die Fahrzeuge dem gesperrten Weg genähert hatten. Ich bedeutete der Fahrerin des ersten Fahrzeugs zu stoppen und erklärte ihr, falls sie den Weg benutzen würden, müßte ich die Fahrzeugnummer notieren und Anzeige erstatten.
Daraufhin stieg die Fahrerin des ersten Pkw aus. (...) Auf die Frage, wer ich sei, nannte ich Namen und Funktion. Die Fahrerin des ersten Pkw verlangte, daß ich mich ausweise. Ich hatte weder Dienst- noch Personalausweis bei mir. Ich erklärte ihr, daß ich dazu nicht verpflichtet sei. Wenn sie aber Zweifel habe, es hier mit einer Amtsperson zu tun zu haben, möge sie sich beispielsweise bei der örtlichen Polizei oder am nächsten Tage fernmündlich bei meiner Dienststelle erkundigen. Ich führte aus, daß ich die Betreffenden angesprochen habe, um sie von einer auch rechtswidrigen Handlung zu bewahren. Die Fahrerin des Pkw entriß mir daraufhin meine Notizzettel, die ich in der Hand hielt. Auf meine Aufforderung, sie mir zurückzugeben, erklärte sie mir, ich erhielte sie zurück, wenn ich mich ausweisen könne. Durch die Entwendung meiner Aufzeichnungen mit den Nummern der zuvor verkehrswidrig geparkten Fahrzeuge und des restlichen Schreibpapiers, das ich bei mir hatte, war ich gehindert, die Anzeigen zu erstatten bzw. später im Gelände weitere Feststellungen schriftlich niederlegen zu können. Insoweit wurde ich auch durch das Verhalten der Fahrerin an der weiteren Ausübung meines Dienstes vor Ort gehindert.“
2. AKT:
Kriminalkommissariat einer Großstadt. Urschriftlicher Vermerk des Kriminalkommissars Pendeloh an Polizeistation Waldhagen:
„Erschüttert von der Schwere der Delikte und voller Mitgefühl für den umsichtigen Beamten der Ordnungsbehörde wurde hier kein Anhörbogen verschickt, sondern die Beschuldigte sogleich vorgeladen. Überraschenderweise erschien sie auch zur Vernehmung.“
Auszug aus der Vernehmung der Beschuldigten Nicole Z. durch Kommissar Pendeloh:
„Zunächst einmal möchte ich einmal sagen, daß ich in den letzten Wochen einige Male am Wochenende dort in diesem Baggersee gebadet habe. Ich bin immer nur dort langgefahren, wo auch andere gefahren waren, über einen Feldweg und dann noch ein Stück über eine Koppel, auf der aber auch Fahrspuren sind. An der Ausfahrt der Koppel herunter, baute sich plötzlich demonstrativ ein Mensch mit einem Fahrrad auf. (...) Nach kurzer Zeit der Stille habe ich ihn gefragt: ,Wollen Sie noch lange dort stehen?‘ Er hat daraufhin sofort mit Beleidigungen geantwortet und gesagt: ,Du Arschloch, verschwinde, von euch Stadtpennern habe ich ohnehin genug.‘
Nach dieser plumpen Anmache bin ich erst einmal ausgestiegen. Ich habe ihn dann natürlich auch geduzt und gefragt, was das Ganze überhaupt soll, und ob er überhaupt eine Berechtigung zum Kontrollieren hat. Er konnte aber schriftlich dazu nichts vorweisen. (...) Er notierte meine Fahrzeugnummer auf einem Zettel. Ich hatte jetzt den Verdacht, daß mit dieser Fahrzeugnummer später mein Fahrzeug möglicherweise aufgesucht und beschädigt werden könnte. Ich habe ihm daraufhin diesen Zettel weggenommen. Der Mann hatte aber noch weitere Zettel bei sich. Diese habe ich ihm aber nicht weggenommen. (...) Von uns sind auf jeden Fall keine Drohungen gegen ihn vorgebracht worden. Möglicherweise hat er sich etwas verletzt gefühlt, weil wir über sein albernes Verhalten einige Male heftig gelacht haben.“
3. AKT:
Polizeistation Waldhagen. Es erscheint Oberamtsrat P. Nach erfolgter Belehrung macht er ergänzende Angaben zu seinen schriftlichen Äußerungen vom 14. 8. 95:
Dorfpolizist:
„Haben Sie zu der Beschuldigten gesagt: ,Du Arschloch, verschwinde, von euch Stadtpennern habe ich ohnehin genug‘? (...)“
Oberamtsrat P.:
„Diese Äußerung habe ich nie von mir gegeben. Sie ist völlig aus der Luft gegriffen. (...)“
Dorfpolizist:
„Wurde Ihnen von der Beschuldigten nur der Zettel entrissen, auf dem Sie ihre Nummer notiert hatten, oder wurden Ihnen auch andere Notizzettel entrissen?“
Oberamtsrat P.:
„Die Beschuldigte riß mir sämtliche Notizzettel aus der Hand, die ich bei mir hatte. Auf einem Zettel hatte ich bereits mehrere andere Fahrzeuge notiert, die ich anzeigen wollte. Desweiteren auch noch mehrere noch nicht beschriebene Zettel. (...) Ich kann hier nur einmal betonen, daß ich bzw. die Gemeinde besagte Notizzettel bis zum heutigen Tage nicht wiedererhalten haben. Es war mir somit nicht möglich, die von mir beabsichtigten Ordnungswidrigkeitstatbestände anzuzeigen, da mir meine Unterlagen fehlten.“
4. AKT:
Staatsanwalt E. aus der Landeshauptstadt diktiert eine Verfügung:
Staatsanwalt E.:
„1.) Die Ermittlungen sind abgeschlossen.
2.) Der Sachverhalt, wie er sich nach den Aussagen der Beschuldigten und des Zeugen darstellt, läßt Zweifel am Vorliegen einer Zueignungsabsicht, da die Beschuldigte die Rückgabe der Zettel angekündigt hatte und es sich damit bloß um eine Nutzungsentziehung handelt. Auch für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung einer Bedrohung oder einer Körperverletzung liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.
3.) Das Verfahren wird wegen Geringfügigkeit eingestellt.
5. AKT:
Dem Amtsgericht erscheint die Würdigung der Tat durch den Staatsanwalt zu milde. Richter U. erläßt einen Strafbefehl:
„Frau Nicole Z., die Staatsanwaltschaft klagt Sie an, am 14. 8. 95 einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen und Rechtsverordnungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben. (...) Vergehen, strafbar nach § 113 StGB. Es wird gegen Sie eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen in Höhe von je 30 DM, zusammen 450 DM verhängt. Zugleich werden Ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt.“
6. AKT:
Brief der Beschuldigten Nicole Z. an das Amtsgericht der Kreisstadt:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Hiermit erhebe ich Einspruch gegen den obigen Strafbefehl, da die Beschuldigungen nicht in dem geschilderten Umfang zutreffen und mir daher das auferlegte Strafmaß zu hoch erscheint. Ich bin zur Zeit arbeitslos und habe dadurch nur ein geringes Einkommen.
Hochachtungsvoll Nicole Z.“
7. AKT:
Verhandlung vor dem Amtsgericht gegen Nicole Z. Nach zehnminütiger Beratung mit sich selbst betritt Amtsrichter U. den Saal zur Urteilsverkündung:
Richter:
„Das Verfahren wird gegen eine Geldbuße in Höhe von 450 Mark eingestellt. Zahlbar in sechs Monatsraten, das sind ..., äh, 75 ..., nein ... Oder sind das 76 Mark pro Monat?“
Staatsanwalt:
„... kann sein.“
Richter:
„Die Kontonummer haben Sie?“
Nicole Z.:
„Ich glaub' nicht.“
Anwalt von Nicole Z.:
„Ich habe sie.“
Richter:
„Die Sitzung ist geschlossen.“
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