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Die Geldquelle aus dem Süden sprudelt weiter

Zwei Billionen US-Dollar schulden die Länder des Südens dem Norden, und der Schuldenberg wächst unvermindert schnell. Ab dem Ende dieser Woche wollen IWF und Weltbank über einen teilweisen Schuldenerlaß entscheiden  ■ Von Nicola Liebert

„Die Schuldenkrise, die vor zehn Jahren begann, ist weitestgehend vorbei“, schrieb die Lloyd's Bank vor ein paar Jahren in einem Brief an die Kundschaft und hatte durchaus recht damit. Die Bankenkunden in den Industrieländern können beruhigt schlafen, kein Geldhaus wird aufgrund uneinbringlicher Kredite an Entwicklungsländer pleite gehen, das weltweite Finanzsystem hat zu wackeln aufgehört. Inzwischen bekommen Krisenländer wie Brasilien und Argentinien wieder Geld auf den internationalen Finanzmärkten.

Doch die Schuldenkrise ist nicht wirklich gelöst. In Uganda werden pro Einwohner drei US-Dollar für Gesundheit ausgegeben, jedoch 17 Dollar für den Schuldendienst, also Zins- und Tilgungszahlungen. Jeder Mosambikaner ist mit 311 Dollar im Ausland verschuldet, verdient aber im Schnitt nur 80 Dollar jährlich. Und das angebliche Musterland Mexiko, das 1982 zahlungsunfähig wurde und damit die internationale Schuldenkrise offen zum Ausbruch brachte, hat im Dezember 1994 schon wieder die Finanzmärkte erschüttert, als eine Vertrauenskrise schockartig das internationale Kapital aus dem Land fliehen ließ.

2.067.722.000.000 US-Dollar Schulden, also mehr als zwei Billionen, lasten auf den Menschen im Süden. Die Devisenreserven der sieben größten Industriestaaten zusammen belaufen sich auf nur ein Viertel dieser Summe. Und der Schuldenberg wächst seit 1980 unvermindert: Im letzten Jahrzehnt hat er sich verdoppelt.

Zwei Billionen Dollar, das entspricht dem jährlichen Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik. Verteilt auf etwa 140 Länder, mag das auf den ersten Blick gar nicht so viel erscheinen. Aber für viele der Länder ist die Situation untragbar. Die Länder mit einem hohen Schuldenstand bei gleichzeitig extrem niedrigem Einkommen müssen 21 Prozent ihrer Exporterlöse umgehend wieder in den Norden überweisen. Sogar die Weltbank geht davon aus, daß eine Schuldendienstquote von über 15 Prozent für eine Volkswirtschaft nicht tragbar ist. Die Schulden dieser Länder sind mehr wert als ihr gesamtes Bruttosozialprodukt eines Jahres.

Weder Umschuldungen, also Herauszögern der Rückzahlungen, noch die „Strukturanpassungsprogramme“, die IWF und Weltbank als Bedingung für weitere Hilfen den Schuldnern aufzwangen, konnten den betroffenen Staaten wieder auf die Beine helfen. Der Grund liegt auf der Hand: Das Ziel aller bisherigen Schuldenstrategien war mitnichten, den ärmsten Ländern zu helfen, sondern nur, die Zahlungsfähigkeit der verschuldeten Länder aufrecht zu erhalten.

In diesem Lichte war die Politik der Gläubiger höchst erfolgreich: Insgesamt erhielten sie seit 1983 schon 2,08 Billionen US-Dollar an Zins- und Tilgungszahlungen von den Schuldnerländern. Das heißt, die zwei Billionen Dollar ausstehender Schulden sind bereits in Form von Zinsen und Kreditrückzahlungen an die Gläubiger zurückgeflossen. Und die Geldquelle aus dem Süden sprudelt weiter.

Inzwischen jedoch mußten die Gläubiger einräumen, daß einige Länder wirklich nicht im Stande sind, ihre Schulden abzubezahlen. Das Wort „Schuldenerlaß“, anfangs vollkommen tabu, taucht seit 1988 auch in offiziellen Zirkeln auf. Und warum auch nicht, die fraglichen Beträge sind für die Industrieländer Peanuts. Eurodad, ein Netz von regierungsunabhängigen Organisationen, das sich für Entschuldung einsetzt, stellt folgende Berechnung auf: Um die 187 Milliarden Dollar Schulden der armen, hochverschuldeten Länder zurückzuzahlen, müßte jeder dort lebende Mensch 112 Tage nur für die Gläubiger arbeiten. Wenn umgekehrt die G 7 den Erlaß dieser Schulden finanzieren wollte, müßten die Bürger der sieben größten Industrieländer nur je einen Tag Arbeit dafür investieren.

Doch nicht einmal vier Prozent der Schulden der am schlimmsten betroffenen Länder (im Weltbankjargon SILICs genannt, „seriously indebted low income countries“), wurden inzwischen abgebaut. Zum einen sind die Kriterien für einen Erlaß absurd eng gefaßt, zum anderen sind bisher nur staatliche Gläubiger überhaupt zu einem solchen Schritt bereit. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Neapel 1994 erlaubten sie einen Erlaß von bis zu 67 Prozent der Forderungen an ein Land – aber nur an ganz bestimmte Länder und auch nur ganz bestimmte eng definierte Schulden. Die kommerziellen Banken, auf die immerhin die Hälfte der ausstehenden Forderungen entfällt, haben zwar in ihren Bilanzen einen Großteil davon abgeschrieben (und dies von der Steuer abgesetzt), aber solange das Geld der Schuldner noch fließt, verzichten sie auf keine Ansprüche.

Schwung in die Debatte brachte erst wieder der neue Weltbankpräsident James Wolfensohn im vergangenen Jahr. Bis dahin war es völlig undenkbar, daß die beiden Schwestern IWF und Weltbank auch nur einen Cent Schulden erlassen hätten – „vergeben“, wie es auf englisch heißt. Dabei haben die internationalen Finanzinstitutionen einen immer bedeutenderen Anteil am Schuldenproblem: 27 Prozent der Schulden der 36 ärmsten Schuldnerländer entfallen auf diese multilateralen Gläubiger – zusammen etwa 52 Milliarden Dollar. Und weil Weltbank und IWF immer Vorrang vor anderen Gläubigern genießen bei den Zins- und Tilgungszahlungen, zahlen die SILICs sogar 44 Prozent ihres Schuldendienstes an die internationalen Organisationen.

Der agile Banker Wolfensohn war nun plötzlich bereit, einen Fonds einzurichten, aus dem die teilweise Tilgung multilateraler Schulden finanziert werden sollte. Diesen Topf sollten Industrieländer und die Weltbank selbst mit elf Milliarden Dollar füllen. Schließlich verfügt die Weltbank über Rückstellungen in Höhe von 3,7 Milliarden Dollar, und allein 1995 häufte sie aus einbehaltenen Gewinnen 15,5 Milliarden Dollar zusätzliche Reserven an. Und plötzlich erinnerte man sich auch eines Schatzes, mit dem auch der IWF seinen Beitrag zur Schuldenerleichterung beitragen könnte: Der Währungsfonds sitzt auf 103 Millionen Feinunzen Gold im Wert von 40 Milliarden US- Dollar.

Doch im Laufe des Jahres traten die Bremser in Aktion. Erst einmal sollen die staatlichen Gläubiger im Pariser Club vorangehen und sich zu einem höheren Schuldenerlaß bereit erklären: statt bisher 67 künftig bis zu 90 Prozent der ausstehenden Kredite. Doch der Club der Gläubiger konnte sich bislang nicht zu einem solchen Schritt durchringen. Am kommenden Donnerstag trifft sich der Pariser Club zum letzten Mal vor der Jahreshauptversammlung von IWF und Weltbank, die am Wochenende in Washington beginnt.

Noch weiter hat sich der IWF aus der Affäre gezogen. Geschickt verwies dessen Direktor Michel Camdessus auf einen Geldtopf, der speziell den ärmsten Entwicklungsländern zur Verfügung steht: die „erweiterte Strukturanpassungsfazilität“, kurz ESAF genannt. Zusammen mit den USA und Großbritannien sprach sich der IWF durchaus für den Verkauf eines Teils des zinslos herumliegenden Goldes aus. Fünf Millionen Feinunzen sollen verkauft werden, und die Zinsen, die danach mit den so gewonnenen 2,2 Milliarden Dollar erzielt werden, sollen in die ESAF fließen.

Seit über einem Jahr streiten sich die IWF-Mitgliedsländer nun um den Goldverkauf, als ließe sich dadurch die Schuldenkrise lösen. Vor allem Deutschland blockiert eisern, weil das zusätzliche Geld die internationale Inflation anheizen und die Stabilität des IWF untergraben würde.

Über diesen Streit wird völlig vergessen, daß der IWF sich in Wirklichkeit gar nicht an einem Schuldenerlaß beteiligen will: ESAF ist lediglich eine Möglichkeit, günstigere Kredite – also mit längeren Laufzeiten und niedrigeren Zinsen – zu vergeben. Mehr Kredite aber bedeuten mehr Schulden für die betroffenen Länder. Für den Weltwährungsfonds eine klare Sache: Nur wenn die Entwicklungsländer verschuldet bleiben, können sie weiter zu den drakonischen Strukturanpassungsprogrammen, zu Marktöffnung um jeden Preis, gezwungen werden.

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