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Das rechte Treiben der Kirchweihburschen

■ Als Mitglieder eines Nürnberger Brauchtumsvereins warben Rechtsextremisten neue Mitstreiter. Ein CSU-Bezirksrat erklärt das rechte Verhalten zur Privatsache

Nürnberg (taz) – Jedes Dorf, jeder Stadtteil hat seine Kirchweih (Kärwa), jede Kirchweih ihre Kirchweihburschen, und die dürfen am Kirchweihwochenende über die Stränge schlagen. Sie ziehen besoffen durch die Straßen, grölen Lieder, erlauben sich derbe Scherze. Das war schon immer so in Bayern, und diese Tradition wollen die Brauchtumsvereine auch weiter pflegen. Im Nürnberger Stadtteil Ziegelstein hat sich jedoch rund um die „Kärwa“ ein gefährliches Treiben entwickelt: Rechtsextreme Kärwaburschen verbreiten im Stadtteil Angst und Schrecken, gehen „Türken klatschen“ und verteilen rassistische Propaganda. Der Vorsitzende des Brauchtums- und Vorstadtvereins Nord, Jürgen Vogel, wiegelte bislang ab. Die Jugendlichen seien doch „nur privat rechtsradikal“, betonte der CSU-Bezirksrat.

Bei der jüngsten Kirchweih eskalierte schließlich das Treiben. Schon beim Festauftakt nahm die Polizei 25 bewaffnete Rechtsextremisten fest. 50 weitere waren aus ganz Süddeutschland und den neuen Bundesländern angereist, suchten aber aufgrund der massiven Polizeipräsenz das Weite. Unter den Festgenommenen befand sich der Ziegelsteiner Thomas Scharf, Landesvorsitzender des „Freiheitlichen Volks Blocks“. Jahrelang hatte Scharf als Kärwabursche und Mitglied des Brauchtumsvereins Jugendliche für seine neonazistische Gruppierung angeworben. In der ganzen Nürnberger Nordstadt klebten die Hetzparolen von seiner Organisation auf Verkehrsschildern, Zigarettenautomaten und Ampeln. Auch als der Neonazi im letzten Jahr türkische Kirchweihbesucher attackierte, ließ Vereinschef Vogel keine Konsequenzen folgen.

Scharf sei eben „mit ein paar Türken zusammengerumpelt“.

Was Kirchweihorganisator Vogel kalt ließ, ließ die 53jährige Gerda Schirl nicht ruhen. Die Schneidermeisterin und begeisterte Brauchtumspflegerin machte die Alkoholexzesse und rechtsextremen Umtriebe der Kärwaburschen immer wieder zum Thema. Mit Erfolg. Ende März schloß man Thomas Scharf wegen „vereinsschädigendem Verhalten“ aus. Zehn weitere Burschen wurden überwiegend wegen rechtsextremer Vorfälle vor die Tür gesetzt. Doch damit war das Kapitel nicht abgeschlossen.

Nach dem Aufstellen des diesjährigen Kirchweihbaumes entdeckten Kärwabesucher in vier Meter Höhe eine Puppe mit roten Haaren, einem Dirndl und einer Schlinge um den Hals. Insidern war sehr schnell klar, wer hier symbolisch erhängt worden war: die rothaarige Gerda Schirl. „Es handelt sich um eine gewisse Dame aus Ziegelstein“, äußerte auch CSU-Mann Vogel im Privatgespräch. Offiziell unternahm er jedoch nichts: „Puppen hängen doch überall.“

Auch als Vogel direkt auf die Puppe hingewiesen wurde, hielt er ein sofortiges Abhängen nicht für notwendig. Erst als Gerda Schirl Anzeige „gegen Unbekannt“ wegen Beleidigung gestellt hatte, schritten Feuerwehr und Polizei zur Tat und setzten dem makabren „Scherz“ ein Ende. Schirl war über Vogels Verhalten derart „schockiert“, daß sie dem Brauchtumsverein sofort den Rücken kehrte. Vogel, der jahrelang die neonazistischen Umtriebe im Stadtteil als „Spinnereien“ verharmlost hatte, geriet dagegen in die Schußlinie der Kritik. Lapidar verwies der CSU-Mann jedoch darauf, daß die Kärwaburschen „nicht die Jugendorganisation des Brauchtumsvereins“ seien und er „kein Sozialarbeiter“ wäre.

Die Funktion eines Sozialarbeiters will nun ein Runder Tisch gegen Rechtsradikalismus ausüben. Vertreter von Ziegelsteiner Vereinen, Parteien und Kirchen wollen ab Oktober mit konzertierten Aktionen den rechten Spuk im Stadtteil beenden. Dabei setzen sie auch auf das Gespräch mit Scharf und seinen Kameraden. Gerda Schirl hingegen ist der ständigen Angriffe und Schmähungen mittlerweile überdrüssig: „Ich sage nichts mehr.“ Bernd Siegler

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