Junge Genossen beißen doch nicht

Drei Wochen lang tingelten Mitglieder der „AG Junge Genossen“ in der PDS durch den Westen der Republik. Wo die Fremden aus dem Osten auch hinkamen, wurden sie beäugt und befragt  ■ Aus Nürnberg Kathi Seefeld

„In Kierspe hat uns das Stadtoberhaupt den Ratssaal zur Verfügung gestellt, und in Heimbach an der Eifel“, schwärmt Freke Over, „wurden wir vom CDU-Bürgermeister sogar empfangen.“ Der ehemalige Hausbesetzer und Abgeordnete der Berliner PDS-Fraktion klingt seltsam begeistert. Man habe über Toleranz und Normalität gesprochen, sagt er feierlich.

Angela Marquardt hingegen lächelt müde. Die stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende mit den gefärbten Haaren muß allenthalben als Beweis dafür herhalten, daß in ihrer Partei „nicht nur alte Knacker sind“, wie sie eine Aachener Lokalpostille zitierte.

Die Tour durch die alten Bundesländer ist anstrengend. Zumal die Begegnungen nur selten so neugierig-naiv wie in der „PDS- Hochburg“ Heimbach verliefen, wo die Partei zwei Stadträte stellt, resümiert Freke Over. 22 größere und auch ganz kleine Orte zwischen Kiel und Freiburg haben die jungen Parlamentarier und Funktionäre in gut drei Wochen besucht. Treffen mit Schülern in Bremen, Antimilitarismusdebatten in Hamburg, Volksfest in Bramsche, Drogendiskussion in Frankfurt, „überall wurde natürlich auch nach unserer Position in Sachen Mitregieren gefragt“, so der Berliner Abgeordnete. Aus Sicht der PDS-Mitglieder West – „viele entäuschte Grüne oder Jusos, die Hälfte jünger als dreißig“ – sei allerdings bis vor einer Woche noch nicht einmal die Frage des parlamentarischen Teilnahme ein Thema gewesen. „Es ging uns auf der Tour auch nicht darum, einen Kurs festzuklopfen. Wir wollten kennenlernen und den Rücken stärken, was wir nach dem Ostrowski-Brief und ihrer Forderung einer Abkehr der PDS vom Westen für sehr wichtig hielten.“

Jetzt in einigen Zeitungen als „hoher Besuch“ bezeichnet zu werden oder vom „SED-Nachfolgepartei“-Anhängsel verschont geblieben zu sein – in Hannover berichtete die dortige Allgemeine erstmals überhaupt über eine PDS-Veranstaltung –, darf die Truppe als zusätzlichen Erfolg verbuchen. „Wer bei uns seine Klischees von der PDS bestätigt sehen wollte, kriegte halt Probleme“, so Angela Marquardt.

In der Fußgängerzone vor der Nürnberger Lorenzkirche finden die PDS-Werbematerialen problemlos Absatz. „Das sollten Sie lesen, dann wissen Sie wenigstens, worüber sie meckern“, macht sie Nürnberger Großmütter an. Junge Pärchen bleiben stehen, beschweren sich, daß seit die CSU in Nürnberg regiere, nach und nach alle Fußgängerzonen in der Innenstadt wieder für den Autoverkehr geöffnet werden. Harald Hauenstein, Mitglied der Nürnberger PDS, spricht sich für den Erhalt des selbstverwalteten Jugendzentrums KOMM aus. „Die SPD erstmals in der Opposition ist völlig gelähmt – das ist unsere Chance.“ Erst am Vortag habe es vier neue Mitgliedsanträge gegeben, sagt Hauenstein hoffnungsvoll.

Halina Wawzyniak vom Bundesvorstand schiebt gelangweilt ihr Basecap aus der Stirn. Sie hätte lieber die PDS-Kondome verteilt, zu denen böse Zungen bemerkt haben sollen: „Bist du erst einmal drin, kommst du nie wieder raus.“ Der Berliner Abgeordnete Benjamin Hoff setzt bei den Franken auf sein neues Outfit, Trachtenjacke und Schlips. Nur einmal kriegen die Junggenossen die Wut einer Touristin aus Sachsen zu spüren: „Ich weiß genau, wer die SED war. Mir machen Sie nichts vor.“

Vielleicht aus Sorge, daß diese Sicht weiter verbreitet als das Lächeln der Jungen Genossen breit ist, organisierte Harald Hauenstein den solidarischen Besuch im Nürnberger Philips-Werk „Ir3“, das zum Jahresende schließen und 580 Leute auf die Straße entlassen will, am späten Nachmittag in aller Stille. Die PDS-Mitglieder hatten angesichts der real existierenden Probleme des Proletariats das große Schlottern bekommen und Parteichef Lothar Bisky um Unterstützung gebeten, aber im Werk wußte letztlich niemand außer der PDS vom PDS-Besuch. Zufällig machte die Belegschaft gerade Pause. Die Betriebsräte und Vertrauensleute, die eben noch im Soli-Zelt beisammensaßen, waren auch schon weg.

Lothar Bisky war die Sache nur recht. Er mochte nicht als einer von vielen Politikern dastehen, die sich bei Betroffenheitsgesten fotografieren lassen und Dinge versprechen, die ohnehin nicht zu erfüllen sind. Der stellvertretende Betriebsrat Günther Wesche seufzt. Artig bedankte er sich für den Besuch. Aber für das Video- werk sei ohnehin nicht mehr viel zu retten. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber, „der müßte mal kommen, aber der kommt nach Nürnberg nur, um Museen einzuweihen“. Und dummerweise ist CSU-Stoiber auch nicht bei den Jungen Genossen. Die sitzen abends wieder im Nürnberger KOMM, um über Bildungs- und Hochschulfragen zu debattieren. 50, 60 Leute sind gekommen. Immerhin.