: Vom Wort zum Bild und zurück
„Der Film in Worten“ war Rolf Dieter Brinkmanns Kurzformel für sein Literatur- und Lebenskonzept. Kann man daraus Theater machen? Thirza Bruncken bringt in Düsseldorf Brinkmanns Texte auf die Bühne ■ Von Gerhard Preußer
Rolf Dieter Brinkmann war ein Prototyp, ein Vorläufer des „in sich fluktuierenden, polymorphen Menschentyps“, der nun die neunziger Jahre bevölkert. Einer, dessen Leben nicht weiter reichte als bis in die Mitte der siebziger Jahre; einer, dessen Wirkung seit den Achtzigern immer weiter wächst; einer, der sich seinen Wahrnehmungen auslieferte, um sich so kennenzulernen. Nach außen ging sein Blick, nicht nach innen; draußen suchte er sich, nicht drinnen.
Entsprechend forderte und praktizierte er eine Ästhetik der Oberfläche. Er war der rasende Reporter seines eigenen Bewußtseinsstroms, „vom Kopf aus körperlich gejagt“. Seine Texte wollen weg von der bloßen „Addition von Wörtern“ hin zu den sich bewegenden Bildern: „Bilder, flickernd und voller Sprünge, Aufnahmen auf hochempfindlichen Filmstreifen, Oberflächen verhafteter Sensibilität“.
Männliche Passantenprosa
Was Brinkmann hinterlassen hat, ist aber kein unendlicher Film, sondern eine monumentale Anhäufung von Wörtern. Er führte den Kampf um das eigene Bewußtsein als Kampf um die Überlistung der Nachträglichkeit der Schrift. Die exzessive Genauigkeit in der Notation der eigenen Erfahrung sollte die Macht der vorgegebenen Abstraktionen durchbrechen. „Der Film in Worten“, das war Brinkmanns Kurzformel für dieses Literatur- und Lebenskonzept.
„Film in Worten“ nennt die Regisseurin Thirza Bruncken nun einen Abend mit Texten Brinkmanns im Düsseldorfer Schauspielhaus. Der Titel verspricht keinen Film, sondern Worte. Und Theater? Thirza Bruncken kann aus nichts als Worten großes Theater machen, wie erst kürzlich ihre Hamburger Uraufführung von Elfriede Jelineks „Stecken, Stab und Stangl“ gezeigt hat. Für sie ist Theater nicht auf Dialog angewiesen.
Jens Kilian, der Bühnenbildner, hat einen abstoßenden, kahlen Raum gebaut, mit einer Wand aus Glasbausteinen und grauen Kacheln, ein Schlachthof, Schwimmbad oder sonst ein alltäglicher Ekelort. In diese Leere stellt die Regie zunächst nur Sprecher im neutralen Kostüm: nichts als Brinkmanns Worte, ohne Zutat. Denn wenn eine Frau (Katja Schreier) Brinkmanns mit, gelinde gesagt, männlichem Blick wahrgenommene Passantenprosa spricht, beginnt die Theatralisierung der Wörter. Erst spät wagt die Regisseurin die Bebilderung. Ein Text, aus Liz Taylors Memoiren zitiert, wird von einer zur goldglitzernden Cleopatra aufgedonnerten Schauspielerin gesprochen. Dann flattert und humpelt Batman persönlich im Fledermausmantel über die Bühne. Solche Bilder sind vorgefertigte Bildzitate, mit denen die Inszenierung auf der Bühne ebenso spielt, wie Brinkmann mit ihnen in seinen Texten.
Zu Recht unternimmt die Regie kaum den Versuch, Brinkmanns reale Impressionen nachzubilden. Einer von Brinkmanns zwischen Wahrnehmungsprotokoll und Gewaltphantasie schwankenden Texten wird von den Schauspielern gesprochen, während sie starr und konzentriert beobachtend nach vorne sehen und zugleich, ohne einen Blick nach unten zu werfen, auf ein Blatt schreiben. Solche Bilder, die den Text erhellen, ohne ihn zu verdoppeln, sind allzu selten.
Wütende Schimpfkanonade
Am besten gelingt der Abend, wenn er sich von der ehrfürchtigen Präsentation der Texte entfernt und sie respektlos kommentiert. So wenn während eines nachdenklichen Textes über das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart der Schauspieler aufsteht, hinter die Bühne geht und dort in eine minutenlange, wütende Schimpfkanonade gegen „diesen beschissenen schmutziggelben Kölner Himmel“ ausbricht. Dann kehrt er ruhig zurück, um seinen Text fortzusetzen. Aggression und Reflexion gehören bei Brinkmann nun mal eng zusammen. In die Mitte des kurzen Abends stellt die Regisseurin den Auftritt eines Schauspielers (Jörg Pose) als Bob- Dylan-Imitator. Er singt, mit allen bekannten Manierismen des Originals, den kompletten Song „My Back Pages“ von 1964. So deplaziert das wirkt, es bringt eine historische Dimension in die Inszenierung.
Mit Adenauer ein Abschied von gestern
Es geht durchweg um Texte der späten sechziger Jahre. Und der Refrain des Dylan-Songs: „Ah, but I was so much older then / I'm much younger than that now“ („Damals war ich noch viel älter, heute bin ich schon so viel jünger“) bringt die Verkehrung der Verhältnisse auf den Punkt, die entsteht, wenn sich heute eine jüngere Generation mit den Erfahrungen der 68er identifiziert.
Am Ende des Abends steht dann als mnemotechnische Ausdauerprüfung die Rezitation des frühen Beschreibungstextes „Am Hang“, eine quälend detailfreudige, syntaktisch monströse Beschreibung des alten, Rosen züchtenden Adenauer in seinem Garten: ein Abschied von Gestern mit liebender Genauigkeit für Dinge und kalkulierter Mißachtung der Person.
„Der Film in Worten“ nach Texten von Rolf Dieter Brinkmann. Düsseldorfer Schauspielhaus (Kleines Haus). Regie: Thirza Bruncken. Weitere Vorstellungen: 27., 28. September; 4., 9., 11., 14., 23. und 28. Oktober
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen