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Hausverbot gegen Assistenzärztin aufgehoben

■ Öffentliche Kritik an frühzeitigen Entlassungen führte zur Suspendierung

Die Assistenzärztin Cora Jacoby darf vorerst wieder im Krankenhaus Neukölln arbeiten. Ärztin und Krankenhausleitung einigten sich in einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht, daß das vom Krankenhaus verhängte Hausverbot aufgehoben wird. Im Gegenzug verpflichtete sich Jacoby, die auch Vorstandsmitglied der Ärztekammer ist, sich mit öffentlichen Äußerungen über das Krankenhaus Neukölln „zurückzuhalten“.

Die Krankenhausleitung hatte die 26jährige Ärztin in der vergangenen Woche vom Dienst suspendiert und ein Verfahren zur fristlosen Kündigung eingeleitet, obwohl der Personalrat die Kündigung abgelehnt hatte. Stein des Anstoßes war eine SFB-Sendung im März, in der Jacoby sich über den Bettennotstand im Krankenhaus Neukölln beklagte. Sie kritisierte, daß PatientInnen oft entlassen würden, „bevor sie richtig ausgeheilt sind“. Jacoby wurde daraufhin von der Krankenhausleitung abgemahnt, weil sie ihre Behauptungen nicht „spezifizieren“, also keine Namen von ÄrztInnen oder Patientinnen nennen wollte. Vom Dienst wurde sie schließlich suspendiert, nachdem sie sich in Zeitungsinterviews über ihre Abmahnung äußerte.

Der Personalrat des Krankenhauses Neukölln, Volker Gernhardt, bezeichnete die Aufhebung des Hausverbots als „großen Erfolg“. Scharf kritisierte er jedoch die Kündigung. Er bezeichnete sie als „gesetzeswidrig“, da sie unter „Ausschaltung“ der Mitbestimmungsrechte des Personalrats erfolgt sei. Ein solches Vorgehen sei bisher einmalig im Öffentlichen Dienst: „Es darf nicht hingenommen werden, daß eine durchaus fundierte Kritik an den Bettenbedarfsplänen des Senats zu disziplinarischen Maßnahmen führt.“

Daß Jacobys kritische Äußerungen nicht unberechtigt sind, attestierten gestern rund 80 Krankenhausangehörige und ehemalige PatientInnen, die aus Solidarität zum Gerichtstermin erschienen waren.

Ein Pfleger, der schon jahrelang im Krankenhaus Neukölln arbeitet, bestätigte, daß „tagtäglich“ PatientInnen zu früh entlassen würden. Mit der Kündigung von Cora Jacoby solle, so eine Krankenschwester, ein „Exempel statuiert“ werden: „Die Krankenhausleitung will uns einschüchtern.“ Ein „Opfer“ der verkürzten Liegezeiten ist Siegmar Scholten. Mit einer schweren Bronchitis wurde der 58jährige im Dezember 1995 nach sieben Tagen Klinikaufenthalt trotz hohen Fiebers entlassen. Kein Arzt hätte mit ihm über die Entlassung gesprochen: „Ein Pfleger kam morgens an mein Bett und sagte, daß ich jetzt gehen müsse.“ Die Bronchitis hätte sich jedoch, so Scholten, zu einer Lungenentzündung entwickelt. In der Charité mußte ihm schließlich ein Teil der Lunge entfernt werden.

In einem Güteverfahren soll am 18. Oktober vor dem Arbeitsgericht geklärt werden, ob die Abmahnung und fristlose Kündigung von Cora Jacoby rechtmäßig ist. Julia Naumann

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