Staatsstreich in Brandenburg

■ Rosemarie Will ist neue Verfassungsrichterin

In Polen ist ein Exminister der kommunistischen Regierung inzwischen Staatspräsident, in Rußland ist ein ehemaliger Kandidat des Politbüros des ZK der KPdSU sogar noch auf dem Sterbebett ein Garant für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und in Deutschland wird die Wahl eines früheren SED-Mitglieds zur Verfassungsrichterin in Brandenburg zu einem Skandal gemacht. Die Wahl Rosemarie Wills nannte die stellvertretende CDU- Vorsitzende Angela Merkel gestern eine „Beleidigung für den Rechtsstaat“. Will sei auf Betreiben von Stolpe geholt worden, so Peter Wagner, Chef der brandenburgischen CDU, und zwar mit dem Vorsatz, den „Weg aus der Bundesrepublik“ fortzusetzen. Das riecht nach Staatsstreich!

Aus einem normalen Vorgang ist ein Lehrstück über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit geworden. Gegner wie Befürworter, insbesondere in der SPD, haben Rosemarie Will für ihre Zwecke instrumentalisiert. Die einen, weil sie immer wieder beweisen müssen, daß ein ehemaliges SED-Mitglied niemals Verfassungsrichterin in einer Demokratie werden kann. Die anderen, weil sie der DDR-Elite zeigen wollen, daß die SPD neuerdings ein weites Herz hat. Beide hantieren dabei mit ein und demselben Symbol, der SED-Mitgliedschaft an sich – entweder als Indiz für die Unmöglichkeit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in führender Position einzustehen, oder als Indiz, daß man wegen der SED sechs Jahre nach der deutschen Einheit nicht länger stigmatisiert werden muß.

Hinter dem Symbol verschwindet Rosemarie Wills Biographie, über die angeblich so heftig diskutiert wird. Aber genau das passiert nicht, und so wird das Wesentliche verdeckt. Will ist eine integre Frau, die sich ihr persönliches Scheitern eingesteht, aber dieses Scheitern produktiv gemacht hat: Sie hat mit ihrer DDR-Vergangenheit gebrochen, ohne sie opportunistisch zu verleugnen oder mit flotten Sprüchen à la „Meine Biographie beginnt nicht erst 1989“ über sie hinwegzureden. Ihre fachliche Kompetenz als Juristin steht ohnehin außer Frage. Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Vergangenheit und ihrer glaubwürdigen Auseinandersetzung damit ist Rosemarie Will eine geeignete Verfassungsrichterin für Brandenburg. Jens König

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