: Geil: Chaos und Fraktale!
■ Wie Mathe Spaß macht: Lehrerfortbildung in Chaosforschung beim Centrum für Complexe Systeme / Dabei: Shakespeare Company und Kammerphilharmonie
Peter Lüchinger, Schauspieler bei der Bremer Shakespeare Company, war seinerzeit schlecht in Mathe. Natürlich. Albert Schmitt, Kontrabassist bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, grauste es seinerzeit vor Mathe. Klar. Doch seit geraumer Zeit beschäftigen sich beide Herren mit graphischer Iteration, dem Pythagoräischen Komma und Polynomen 3. Grades. Mehr noch: Sie veranstalten in zwei Wochen zusammen mit echten Mathematikern der Bremer Uni eine „Lehrerakademie Bremen“. Was diese durchaus unterschiedlichen Menschen an einen Tisch brachte: das Chaos.
Die Lehrerakademie Bremen ist ein vier Jahre altes Projekt des Centrums für Complexe Systeme der Uni Bremen (CeVis), das von der CeVis-Mitarbeiterin und abgeordneten Lehrerin Gisela Gründl organisiert wird. Das oberste Ziel: Mathematik an der Schule soll Spaß machen. Wenn man aber in den letzten Jahren von Spaß an Mathematik hörte, hörte man gleichzeitig immer den Namen Heinz-Otto Peitgen und das Wort „Chaosforschung“. Der Bremer Professor und Chef des CeVis hat diesem fröhlichen Zweig der Mathematik nicht nur in Deutschland zu enormer Popularität verholfen. Besonders attraktiv an der Chaosforschung: Ihre Methoden lassen sich auf Wettervorhersagen und auf den Verlauf von Küstenlinien, auf das Entstehen von Kunstwerken und auf Probleme in der Medizin anwenden. Und siehe: Wissenschaften, die bisher nichts voneinander wissen wollten, entdeckten in ihren Gegenständen chaotische Strukturen, die sich verteufelt ähnelten.
Das zentrale Arbeitsgerät der Chaosforschung ist der Computer, doch man kann auch schon mit Schere und Papier oder einem kleinen grafikfähigen Taschenrechner Chaosforschung betreiben. Schüler, die mit dieser Mathematik in Berührung kommen, sind regelmäßig begeistert. Solche Begeisterung zun schüren, ist die Lehrerakademie angetreten. Und die Begeisterung hat inzwischen auch Mitglieder der Shakespeare Company und der Kammerphilharmonie angesteckt. Erstmals bietet die Lehrerakademie gemeinsam mit den renommierten Bremer Institutionen Seminare nicht nur für Mathematik- und Naturwissenschafts-Lehrer, sondern auch für Sprach- und Musiklehrer an.
Vom Fleck weg hatte die Lehrerakademie 1992 179 Teilnehmer, die ihre Herbstferien, 130.- Gebühr sowie Anreise- und Übernachtungskosten investierten, um mit Guru Peitgen Chaospädagogik zu lernen. Diesmal lernen die Mathematiker mittels Papierfalten etwas über symbolische Dynamik und Fraktale und erfahren, wie sich eine 6. Klasse einen „Symmetrie-Computer“ baute. Schüler eines Gymnasiums in Schwäbisch-Gmünd stellen ein selbst erstelltes Computerprogramm vor, mit dem sich Ergebnisse der fraktalen Geometrie darstellen lassen. Man wird alles über das Feigenbaum-Diagramm und das Pythagoräische Komma lernen. Genau hier schalten sich Mitglieder der Bremer Kammerphilharmonie mit eigenen Work-shops ein: Pythagoras hatte mit Harmonieuntersuchungen bereits das Grenzgebiet zwischen Mathematik und Musik betreten; und der Komponist Tom Johnson (selbst anwesend) hat chaotische Konstruktionsprinzipien des Papierfaltens selbst benutzt.
Die Musiker hoffen, daß die wenig populäre Neue Musik sich über die Zusammenarbeit mit der Mathematik besser verstehen läßt und mehr Freunde findet. Und die Theaterleute? Zerhacken ihren Shakespeare und setzen ihn mittels Zufallsgenerator neu zusammen. Das ergibt zunächst mal dadaistische oder Laut-Gedichte und ist ein Experiment, dessen Ende offen ist. Unter „Chaos“ stellen sich zwar alle Nichtmathematiker etwas anderes vor, doch Schauspieler Lüchinger ist sich sicher: „Es gibt Chaos-Diskurse bei Shakespeare.“
BuS
Freie Plätze für Lehrer gibt es noch in den mathematischen und den Musik-Workshops. Info: Tel. 218-4826 oder 218-2439.
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