■ Mögliche Orte
: Hochmut der Höfe

Abgelutscht und ausgelatscht wie die Freßetage, downtown KaDeWe Ende 89: das sind im selbsternannten „Herzen von Berlin“ die Hackeschen Höfe im Osten der Stadt. „Einzigartig. Vielfältig. Ein echtes Stück Berlin.“ Womit geladen wird zum Besuch des „größten Hofgeflechts in Europa“ – was an Schuppenflechte denken läßt. Zur Eigenwerbung dient ein Begriff, dessen Bedeutung sich erhellt, wenn man ihn auseinanderpflückt: die „Künstler-Kolonie“. In den Höfen hat sich Kleinkunst eingenistet, die sich bequem im genreeigenen Modus „Sparte“ faßt, Schrebergärten, aber KaDeWe. Saubere Antwort auf die Schmuddel- Mafia im Tacheles am anderen Ende der Oranienburger, wo im Unterschied zum Hofgeflecht nicht eine Nutte steht. Aber das nur am Rand.

Bemerkenswerter als die Kleinkunst ist das Biotop, das hier gezüchtet wird, die Kolonie: drei Dutzend Gewerbemieter, die in den Höfen hocken. Nette Invasion der Kreativen, 60/40 West und Ost, dazu das Antiquariat, das Buchbestände aus der Deutschen Demokratischen Welt weit überm vorgesehenen Endverbraucherpreis (EVP) offeriert. Die sprichwörtliche Besucherwelle schwappt auch meist am Antiquariat vorbei, spült dafür aber Bataillone vollkommen unkomplizierter junger Menschen mit albernen Brillengestellen hindurch, Myriaden pubertierender Provinzpickel („geil, geil, geil“) und gegen Wochenende abenteuerdurstige pensionsberechtigte Mittelstandstouristen mit einem Dialekt, der nach Ariel riecht und nach Underberg klingt. Den exklusiven Rest am späteren Abend bestreiten vornehme Jacketts aus dem Westen der Welt; da und dort purzeln auch zwei Hände voll Japaner durchs Quartier.

Die Höfe haben edle Namen wie Kunsthof, Handwerkerhof, Brunnenhof, Wohnhof, Baumhof, Theaterhof und ganz am Anfang den Endellschen Hof nach dem gleichnamigen Architekten, August, benannt. Der gilt als schönster von allen, ist vom Jugendstil geprägt und trägt glasierte Kacheln an der Wand. Die hat die Bürgerwehr der Bewohner vorm Verputzen bewahrt, die ziselierten Balkongitter dagegen wurden nach Phantomzeichnungen einer älteren Dame rekonstruiert, die das Muster noch im Oberstübchen hatte. Praktischerweise sind auch ein Prüfingenieur und ein Psychoanalytiker etabliert, die etwaige Beschwerden prüfen oder flicken können. Natürlich ist ein Geldinstitut in der Nähe, dort, wo „früher“ das erste und einzige An- und Verkaufs-Kaufhaus war, Osttrödel, der aus Westpaketen übrigblieb. Aber das nur am Rand.

Im Kunsthof hat ein Fotograf aus Wuppertal – Paris – New York sein Atelier, er ist verwandt mit einer Tapetenfabrik und empfindet die Höfe als „idealen Ort, um kulturelle Vielfalt und menschliche Nähe mit Arbeit verbinden zu können“. Deshalb will er einen „Kommunikationsraum schaffen für die Menschen, die aus aller Welt nach Berlin kommen“. Wie zum Beispiel die zöpfeschweißende Hair-Company aus England, das wohnverträgliche Möbeldesign aus Milano, das französische Kulturinstitut und ganz unten der Club. Die Anwaltskanzleien, der Modeladen, das luxuriöse Schuhgeschäft, die piekfeine Fahrradstation – sogar die morgendliche Müllabfuhr geht im Design.

Im zweiten Hof befindet sich eine Architekturgalerie, Stammhaus am Savignyplatz, sie nennt sich AEDES, womit keine Krankheit gemeint ist, sondern die Stechmückengattung, die Ernst Jünger schon gepiesackt hat. Gegenüber gehört ein Café dazu, dessen Innenleben eine Mischung aus Ikea und Schwulensauna vorstellt. Ein Erotikmuseum (nicht von Uhse) ist dort, ein Restaurant, ein kleines Theater, noch kleinere, sauteure Kinos, Film- und Softwareproduktion und und.

Und ganz am Ende, überm Hinterausgang, sitzt das Unternehmensberatungsbüro Nicolai & Partner aus Düsseldorf, in dem Irmgard Schwaetzer berät, die „früher“ Bauministerin von Deutschland war. Büros gibt's sonst noch jede Menge: Finanzdienstleistung, Projektbetreuung, Bauforschung, Berufsbildung und und.

Und vor allem gibt es das berühmte Varieté, das immer noch Chamäleon heißt und Kleinkunst auf der Bühne zeigt, manchmal auch große. Manchmal ist gar keine dabei, besonders dann, wenn die „goldenen Zwanziger angesagt“ sind. Was ahnen läßt, daß Berlin so bald wohl kein Medienstandort für die Zukunft wird (Propaganda aus den Höfen), eher klapprige Touristenfalle – wenn schon nicht Weltstadt, dann wenigstens Geldstadt.

Dem Geflecht der Höfe steht ein Vorstand vor, der „Verein Hackesche Höfe e.V.“, der wieder in der Kommanditgesellschaft gleichen Namens steckt, deren Projektleiter und „Bauherrenvertreter vor Ort“ Herr Sinnig heißt und „früher auch mal Ossi war“. Der Bauherr hat das Alteigentum den jüdischen Erben in Amerika abgekauft, er nennt sich Unternehmensgruppe Roland Ernst, größte seiner Gattung in Berlin, und kommt eigentlich aus Heidelberg. Er wird in den Höfen ein paar Zimmer kaufen und ist im übrigen der Meinung, „daß vertrauensvolle Planungen wie in den Höfen die Umgebung befruchten und helfen, das gesamte Gebiet zu entwickeln“. Dazu zählt u.a. der Kunsthof hinterm Café Silberstein, gewisse Anteile am Lafayette in der Friedrichstraße und nebenbei die Beelitzer Heilstätten, wo Erich Honecker als gekippter Generalsekretär von einem Pfarrer beschützt wurde vor den Händen böswilliger Bürger.

Dazu gehört Herr Sinnig nicht, seine Lieblingsvokabel lautet „kleinteilig“, und er ist stolz auf die „kleinteiligen Nutzungsmietereinheiten und das wohnverträgliche Gewerbe bei uns“, auf „multikulturell-urban“ und besonders darauf, daß aus den Höfen keine „Schickimicki-Einkaufszeile unter Glas“ geworden ist. Das hauseigene Medium der Höfe nennt sich Freiraum, bis vor kurzem schlicht „Zeitung aus den Hackeschen Höfen“, jetzt „Zeitung für Standortmarketing und Kultur aus der Altstadt von Mitte“ benannt, deren Hauptanliegen ist, darauf zu achten, daß niemand, der im Glashaus sitzt, mit Kacheln wirft. Gerd Gabel

Für Anna B., die einen Tag lang in den Höfen grünen Tee gekocht hat.