■ Afghanistans Hauptstadt Kabul steht kurz vor dem Fall: Wende rückwärts
Afghanistan steht vor einer erneuten Wende. Die extrem islamistischen Taliban sind kurz davor, die Macht zu erobern. Für das Land bedeutet dies die Gefahr einer Wende rückwärts. Dabei verband sich 1994 beim Auftauchen der „geheimnisvollen“ Bewegung die Hoffnung auf ein Ende des 15jährigen Krieges. Denn ihre Chefs versprachen, mit dem Zwist der Warlords und ihren Übergriffen Schluß zu machen. Viele Afghanen klammerten sich an dieses Versprechen wie an einen letzten Strohhalm.
Aber an diesen Taliban war nichts Geheimnisvolles. Bereits Mitte der achtziger Jahre bildeten sie Widerstandsgruppen gegen die Sowjets, die auf religiöser Gefolgschaftstreue beruhten: islamische Geistliche an der Spitze, ihre Schüler, eben „Taliban“, als Fußvolk. Das Neue daran war vor zwei Jahren „ihre unerwartete Koordination und das Vorhandensein einer politischen und militärischen Strategie, in Verbindung mit der Verfügung über finanzielle und militärische Mittel“, so der Afghanistanspezialist und Buchautor Olivier Roy.
Daß beides aus beziehungsweise über Pakistan kam, genauer vom Militärgeheimdienst ISI, ist inzwischen klar. Nur vermutet werden kann hingegen, daß auch die USA anfangs die Taliban wegen ihres erhofften Beitrags zu Clintons War on Drugs unterstützten. Tatsächlich henkten sie die mit Heroin handelnden Warlords und brannten ihre Mohnfelder nieder. Die CIA verfügt seit dem Krieg gegen die Sowjetunion über eine Pipeline nach Afghanistan: den ISI.
Doch nach ihrer ersten Niederlage Mitte 1995 vor Kabul ließen die Taliban ihre Maske fallen, schossen mit Raketen auf Zivilisten, finanzierten ihren Krieg mit Drogen – wie zuvor die Mudschaheddin. Sie wurden zu einer Fraktion unter vielen, allerdings zu einer der stärksten. In ihren Gebieten errichteten sie ein Regime, gegen das die Mullahkratie im Iran liberal wirkt: Die Bewohner der von den Taliban besetzten Stadt Herat schicken ihre Mädchen dorthin zur Schule! Politische Gegner werden liquidiert; „islamische“ Strafen – Amputieren, Steinigen, öffentliches Hinrichten – gehören zum Alltag. Ein Sieg der Taliban wäre für alle Afghanen eine Wende rückwärts. Thomas Ruttig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen