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Schluß mit Steiners Rassenlehre

Niederländische Anthroposophen setzen durch, was deutsche nicht wagen: Sie distanzieren sich öffentlich von Steiners rassistischen Thesen – und lassen die Frauen zu Wort kommen  ■ Von Nathalie Hillmanns

Sie ist pausenlos in Bewegung. Petra Weeda erzählt, schiebt noch schnell einen Apfelkuchen in den Ofen, wischt den Küchentisch ab und serviert Kaffee. Die ehemalige Chefredakteurin der niederländischen Anthroposophie-Zeitschrift Jonas hat sich vor fünf Jahren in ein Bauernhaus im südholländischen Nuth zurückgezogen. „Ich vermisse die spannenden Diskussionen mit den Anthroposophen in Amsterdam. Aber hier sind Leute, die nicht erst jahrelang Steiners Bücher gelesen haben müssen, um ihr Kind in eine freie Schule zu schicken.“

In den Niederlanden heißen die 77 Waldorfschulen „Vrije Scholen“, und die Arbeit anthroposophischer Pädagogen, Landwirte und Ärzte ist weitgehend anerkannt. Doch im letzten Frühjahr knallte es. Der Vizevorsitzende der Anthroposophischen Vereinigung, Christoph Wiegert, vertrat Rudolf Steiners rassistische Aussagen. Danach ist die Entwicklungsphase der schwarzen Rasse mit der eines Kindes zu vergleichen (siehe Kasten). O-Ton Wiegert: „Ohne diskriminierend sein zu wollen: Man sieht das beispielsweise auf dem Gebiet der Vitalität, das ist bei der schwarzen Rasse ein gewaltiger Mehrwert“, meinte Wiegert, „das sieht man doch an den Fußballern bei Ajax Amsterdam. Ich habe nichts gegen Ajax, aber man sieht dort doch gewaltige Vitalitätsüberschüsse, die du und ich nicht haben.“

Über solche Sprüche hatte sich eine Mutter beschwert, deren Kinder in einer Waldorfschule mit rassistischen Ideen konfrontiert wurden. Was dann kam, war eine heftige Debatte in den Zeitungen, im Fernsehen und im Radio. Christoph Wiegert mußte abtreten, die Anthroposophische Vereinigung distanzierte sich öffentlich von den Aussagen Rudolf Steiners, „sofern dort von einer Rassenlehre die Sprache ist“.

Inzwischen gibt es einen neuen, bedächtigen Vorsitzenden: Ron Dunselman, der als Therapeut und Sozialarbeiter in der Drogenszene arbeitet und sich für eine vollständige Legalisierung von weichen Drogen einsetzt. Als Vorsitzender zieht er sich in der Rassismus-Debatte allerdings auf die bei den Anthroposophen so beliebte individualistische Meinung zurück: „Ich leide sehr darunter, wenn Menschen sich mit allerlei festgerosteten Standpunkten bekämpfen.“

Die Anthroposophen in Holland sind im übrigen keineswegs mehr der elitäre Haufen, der sie mal waren. Sie tragen ihre Lehre durch Schulen und Betriebe in die Mitte der Gesellschaft. Die „Vrije Hogeschol“ in Driebergen bietet neben einer universitären Kunst- und Anthroposophieausbildung auch einen Wirtschaftsstudiengang an, wo man als angehender Manager „seine innerliche Steuermannskunst“ ausbilden kann. Die hauseigene „Triodosbank“ liefert das nötige Kleingeld.

Was den Aufbau öffentlicher Einrichtungen angeht, gehört der Blick auf die deutschen Nachbarn zum niederländischen Alltag. „Die Deutschen sind viel gründlicher als wir, zum Beispiel bei den Waldorfschulen. Oft werden hier Schulen in leerstehenden Gebäuden eröffnet, und erst nach und nach kommen die notwendigen Bauten in Gang. Es gibt oft kein Geld, um alles nach der reinen Lehre zu machen“, erzählt Petra Weeda. Die reine Lehre, eine holländische Gesamtausgabe der Schriften Rudolf Steiners, ist noch nicht fertiggestellt. Viele halten es allerdings für unbedingt notwendig, die Texte des Meisters in der Originalsprache zu lesen.

Die ehemalige Jonas-Chefin mag den Personenkult um Steiner nicht besonders. Trotzdem hängt in ihrem Arbeitszimmer ein Poster, auf dem er aussieht wie der junge Gustav Mahler: lässig auf einen Stuhl gelehnt, eine Haarsträhne im Gesicht. Obwohl sie jahrzehntelang für die Steinergemeinde geschrieben hat, ist Petra Weeda nie eines der 5.000 Mitglieder der Anthroposophischen Vereinigung der Niederlande geworden: „Ich bleibe lieber in der Peripherie.“ Die Anthroposophie steckt im Süden Hollands noch in den Kinderschuhen. Dennoch wird in Maastricht vom 13. bis zum 17. Oktober das jährliche Treffen der internationalen Anthroposophen stattfinden. Am Rednerpult zu Wort kommen werden bei dem Treffen neben zehn Männern nur zwei Frauen.

Typisch vielleicht für die deutschsprachigen Anthros aus dem schweizerischen Dornach. In den Niederlanden, meint Petra Weeda, habe sich das Frauenbild der Steinerjünger inzwischen enorm geändert. Die Vollblutmutter sei zwar immer noch beliebt, aber letztendlich seien es doch immer die Frauen, die die Anthroposophie vom Kopf auf die Füße stellten. Und es seien meist die Mütter, die ihre Kinder in die freien Schulen bringen. Bei den Vätern sei noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Von den niederländischen Waldorfeltern sind ohnehin nur rund zehn Prozent Mitglied der Anthroposophischen Vereinigung. Im Süden des Landes sind es etwa zwei Prozent.

Petra Weeda hat ihre wöchentliche Kolumne in Jonas inzwischen drangegeben. „Ich merkte, daß ich immer mehr vom Landleben schrieb als über andere Dinge.“ Ganz vergessen hat sie ihre journalistischen Ambitionen allerdings nicht: „Eine anthroposophische Frauenzeitschrift, das wäre doch etwas.“ Ob die Männer in den oberen Etagen etwas dagegen hätten? „Nein, das glaube ich nicht.“ Es klingt nicht ganz überzeugt.

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