: Vom König zum Penner
■ Otar Iosselianis „Brigands – Chapitre VII“ auf dem Hamburger Filmfest
Der Film Brigands des Georgiers Otar Iosseliani zeigt in sieben Kapiteln beeindruckend, wie sich die Schicksale von Kriegsgewinnlern und Herrschern über die Jahrhunderte durchdringen. So ist die Hauptfigur Vano nacheinander König, Volkskommissar und Mafioso. Und im letzen Teil sieht man ihn schließlich als Obdachloser zwischen Panzern und Trümmern wieder.
taz:“Brigands“ erinnert durch seine Episodenstruktur an Ihren Film „Günstlinge des Mondes“.
Otar Iosseliani: Jeder Film ist eine Fortsetzung des vorigen. Aber jetzt hoffe ich, daß ich zum Schluß gekommen bin und diese Geschichte von den Räubern abschließe.
Glauben Sie, daß Verrat zu allen Zeiten das Grundmuster des Lebens ist?
Dieser Film behandelt allgemeingültige menschliche Spiele, ihre Erscheinungformen und versteckten Tendenzen. Das Grundmuster sehen wir schon in der Geschichte von Faust.
Was ist mit den Kindern im Film, die am Ende zu Mördern werden?
Wenn ein Kind tötet, verhält es sich wie jemand, der Gutes tut, denn es hat es so gelernt. Wenn man den Verrat als positive Tat ansieht, stört er das Gewissen nicht.
Ist das Ihre Erfahrung aus der Zeit des Stalinismus?
Ich denke, es ist die Erfahrung aus allen Zeiten, in denen Macht ausgeübt wird. Nicht der Verrat von Bösewichtern ist interessant, sondern der von Menschen, die glauben, durch Verrat das Böse zu bekämpfen.
In der Mafia-Episode greift das Kind zum Gewehr ...
Dieses Kind wurde nicht mehr in einer Ideologie erzogen. Es handelt aus sich selbst heraus. Als es die Schweinerei um sich herum nicht mehr erträgt, wehrt es sich mit dem, was es gerade findet und was es kennt – einem Gewehr.
Haben Sie bei den Heckenschützen an Sarajewo gedacht?
Das kann in Sarajewo ebenso wie, wie in meinem Film, in Tbilissi passieren. Man gibt Frauen und Männern Gewehre, und sie schießen auf andere, rächen sich so für die Misere ihres eigenen Lebens.
In Paris sieht man die georgischen Mafiosi bei einer recht skurrilen Weinprobe.
Wenn ein Dieb oder Räuber ein Aristokrat wird, muß er als erstes lernen, was die Menschheit vorher gemacht hat. Und die großartigste Sache, die erfunden worden ist, ist der Wein. Leicht, fragil, aber lebendig. Ein Zeichen der menschlichen Kultur zum Probieren und Riechen. Diese Kunst beschäftigt nur zwei Sinne, die selten benutzt werden: Geruch und Geschmack.
Sind Sie ein Weingenießer?
Nein, aber ich beobachte die Menschen, die das schätzen. Ich selber trinke Wodka.
Womit wird sich Ihr nächster Film beschäftigen?
Jetzt habe ich erst einmal Brigand abgeschlossen. Nachdem mein Freund Andrej Tarkowskij meinen dritten Film Pastorale gesehen hatte, meinte er, das sei das Ende des Weges. Aber er hat sich geirrt. Denn je länger man lebt, desto mehr Fragen stellen sich, die man lösen muß.
Interview: Gisela Kruse
heute, 17.15 Uhr, Holi 1
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