: Hotelrenommee auf Kosten der Auszubildenden
■ „Schwarzbuch“ über Ausbildung in der Berliner Hotel- und Gastronomiebranche
Regelmäßige Überstunden, Arbeitszeiten bis zu 20 Stunden am Tag, monatelanger Einsatz beim Zimmerputzen oder im Frühstücksservice. So lautet das Fazit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in dem Schwarzbuch „Ausbildung auf dem Prüfstand – Die Berliner Hotellerie und Gastronomie einmal anders betrachtet“.
„Die Lage ist leider so, daß es nicht einige wenige schwarze Schafe in der Hotelbranche gibt“, erklärte gestern Anja Weber von der NGG, „sondern die weißen Schafe sind die Ausnahme.“ Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Bestimmungen sowie gegen die Ausbildungsordnung seien üblich, die Auszubildenden würden in den meisten Hotels und Gaststätten lediglich als billige Arbeitskräfte eingesetzt.
Den „rostigen Kochlöffel“ für eine besonders schlechte Ausbildung verlieh die NGG dem Hotel Mondial in Charlottenburg. Ein Azubi verbrachte dort mehr als 13 Monate seiner Ausbildung mit Zimmerputzen. Fehler und Malheure würden nach Angaben eines Betroffenen lauthals vor den Gästen und anderen Mitarbeitern beanstandet. Ein Lehrling hätte eine Ohrfeige erhalten im Streit um ein zu schließendes beziehungsweise zu öffnendes Fenster.
Das renommierte Hilton ist nur knapp dem rostigen Kochlöffel entgangen. Mit zahlreichen Preisen für seine Kochausbildung prämiert, wird dort absolutes Wohlverhalten vorausgesetzt. „Bei uns herrscht militärischer Drill“, beschwerte sich ein Auszubildender. „Das geht so weit, daß, wenn jemand krank war, er so lange in die Mangel genommen wird, bis er selbst glaubt, er war nicht krank.“ Anläßlich eines vom Hilton gesponserten Poloturniers auf dem Maifeld mußten die Azubis vier Tage lang 15 bis 18 Stunden in brütender Hitze arbeiten.
Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Im „Kempinski“ äußerten sich die Azubis zufrieden über Ausbildungsqualität und -inhalte. Für das Angebot von Lehrunterweisungen verlieh die NGG dem Hotel den „Bronzenen Kochlöffel“. Der „Silberne Kochlöffel“ und der „Goldene Kochlöffel“ konnten angesichts der Ausbildungssituation nicht verliehen werden.
Derzeit absolvieren in Berlin 2.319 junge Menschen ihre Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe. Die Ausbildungsberufe Koch/Köchin und Hotelfachfrau/ mann gehören zu den zehn stärksten Ausbildungsberufen in dieser Stadt. Aber weniger als die Hälfte der Azubis beendet nach Angaben der NGG die Lehrzeit mit Erfolg.
Die Ausbildung in der Hotel- und Gastronomiebranche wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Doch die Industrie- und Handelskammer, zuständig für die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, stellt nur einen einzigen Ausbildungsberater zur Verfügung, der die betriebliche Berufsausbildung kontrolliert. Ute Sander
Infos: Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Abteilung Junge NGG, Gotzkowskystr. 8, 10555 Berlin, Tel.: 3999150
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