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Im mondänen Istanbul: Blondinen bevorzugt

■ Der American Dream in Variationen: karottengelb und rostgold. Brief aus Istanbul

Gentlemen prefer Blondes. Im „Orient“ allemal. Sie nicken? Ach, Sie kennen sich aus mit der Orientalin? Lassen Sie mich, nach guter Tradition europäischer Reiseberichte aus dem Orient, noch etwas hinzufügen...

Seit die Türkin vom Schleier befreit worden ist (merke: Es befreite sie ein türkischer Republikgründer und nicht etwa der europäische Orientreisende), kamen immer neue Wellen der Herrschaft über ihre Erscheinung. In den Gründerjahren der Türkischen Republik präsentierte sich die moderne emanzipierte Türkin in androgyn- neutraler Eleganz. Später wüteteten Dauerwellen, Pettycoats und Pfennigabsätze unter den Frauen, bald darauf Jeans und T-Shirt. Neuere Modedikaturen verschonen auch die Türkin von heute nicht.

Spätestens seit Marilyn Monroes Triumphzug über türkische Kinoleinwände lautet die Botschaft im mondänen Istanbul: Blondinen bevorzugt. Und so färben sich die Istanbulerinnen mit wahrer Inbrunst (um nicht zu sagen: mit orientalischem Fanatismus) die schönen dunkelbraun- schwarzen Haare blond. Was man so blond heißt, oder haben Sie schon einmal ein schwarzes T-Shirt weißgefärbt? Gallione von Friseuren stehen ihnen bei, häkeln Strähnchen aus Kopfkappen, verpassen spröden Brünetten „Highlights“, bürsten, striegeln und föhnen tagaus, tagein türkisches Haar zu blonden Prachtmähnen. Der American Dream in seinen Variationen strohblond, karottengelb, kartoffelgelb und rostgold entsteht beim türkischen „Kuaför“. Die chemische Industrie floriert: Während sie Henna ins europäische Ausland exportiert, steigt der heimische Umsatz mit Wasserstoffperoxyd ins Unermeßliche. So trägt die Türkin mit der Emanzipation zum Wirtschaftswachstum bei. Zur perfekten Erscheinung der europäisierten Türkin gehört neben der blondierten Haarpracht noch ein weiteres Requisit: Schnürstiefel und Leggings. Merke: Gentlemen prefer Blondes. Blondes prefer Leggings. Die Einheitlichkeit im Istanbuler Straßenbild ist beinahe unheimlich. Geht man nach der Haarfarbe, so ist es um die türkische Identität schlecht bestellt.

Das haben wir nun von der westlichen Kulturmission. Von der schönen Orientalin bleiben nur noch die gepriesenen braunen Augen – sofern sie nicht mittels neuester Haftschalen blaugetönt sind.

Die türkische Frau muß aus der Unterdrückung befreit werden, meine ich. Nieder mit dem Modediktat! Amina Grün

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