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Narben, Nester, Notizen

■ Neue Künstlerräume in der Kunsthalle: Bernhard Prinz und Hermann Pitz

Fotografie gilt inzwischen als fester Bestandteil der bildenden Kunst, dieses Medium ist auch das Verbindende der beiden neuen Künstlerräume auf Zeit in der Hamburger Kunsthalle. Der Einsatz der Kamera ist dabei so grundverschieden, daß nur die Tatsache, daß beide am letzten Sonntag in einer Matinee eröffnet wurden, zum Vergleich der Portäts von Bernhard Prinz und der Sofortbilder von Hermann Pitz herausfordert. Der Hamburger Fotograf inszeniert Personen zu nur im kunstgeschichtlichen Kontext verstehbaren Allegorien, der vielseitige Künstler Hermann Pitz verwendet die Kamera als optisches Notizbuch.

Acht Großfotos von Prinz aus diesem Jahr umfaßt die Porträtserie Blessur. Sie zeigen Personen mit Veränderungen am Körper: Piercing und Pigmentflecke, Tätowierungen und Operationsnarben, Sommersprossen und Windpocken. Bernhard Prinz hat dabei den demonstrativen Wunsch nach Beachtung mit weitgehend sachlicher Distanziertheit der Darstellung neutralisiert. Dadurch erheben sich die Bilder über den Einzelfall und werden zu modernen Ikonen. Das bei diesem Fotokünstler aber immer wieder Irritierende ist: Man weiß nicht, wofür diese offenen Sinnbilder eigentlich stehen. Das führt, handelt es sich um Kinderbilder, zu manch merkwürdigen Interpretationen. Bei dieser Serie schwingen, ohne gezeigt zu werden, alte Bedeutungen mit: Das Zeigen der Wunden ist ein christlicher Gestus, das Verdecken des Hauptes und entblößen der Brust bezeichnete im alten Rom die Tempelhüterinnen des ewigen Feuers, Verletzungen als Schmuck sind ein archaischer Mannbarkeitsritual.

Konkret und ganz praktisch sind für den viel reisenden Hermann Pitz Fotos einfach visuelle Notizen und Reflektionen über Orte und Räume. So fällt es leicht, in Mailand das römische Kapitol abzubilden: Pitz fotografiert einfach einen Geldschein.

140 Sofortbilder aus 15 Jahren zeigen Entwurfszeichnungen und Ideen wie für das Projekt „Büro Berlin“ oder für die Installation auf der documenta IX. Vor allem sind sie jedoch Studien des Sehens, untersuchen Lichtbedingungen und optische Verzerrungen in Wassertropfen und Linsen. Da zerschmilzt eine Uhr im Treppenhaus so weich wie bei Dalí und der Atelierraum wird so rund, wie das Auge als rundes Organ ihn abbildet, bevor das Gehirn mit seiner Erfahrung das Bild gerade verrechnet. Die Ausstellung zeigt auch Dreidimensionales: die Reihe Acuarium, optische Geräte und optische Objekte unter umgekehrten Aquarien auf vier kunstvollen Sockeln, und die Acht Konkavarbeiten von 1993. Das sind echte Webervogelnester aus Botswana, innen ausgemalt mit einer Afrikakarte, einem Löwen oder einer fiktiven Nationalgalerie.

Hajo Schiff

Kunsthalle, bis 10. November.

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