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Falsches Gutachten und falsche Schecks

Seit er wegen einer Falschdiagnose jahrelang in der Psychiatrie gesessen hat, kommt der 40jährige Detlev B. mit dem Leben nicht mehr klar. Nun muß er wegen Betrugs auch noch zwei Jahre in den Knast  ■ Von Plutonia Plarre

Keiner liebt ihn, keiner mag ihn. Er hat weder Familie noch Freunde und ist völlig einsam. Der einzige, der zu ihm hält, ist ein junger Anwalt aus Iserlohn. Der reist ihm überallhin nach, wenn er mal wieder vor Gericht muß. Der 40jährige Krankenpfleger Detlev B. ist, was man gemeinhin einen Querulanten nennt. Er ist einer von den Leuten, die häufig zur taz oder zu den Grünen kommen, einen dicken Aktenordner auf den Tisch knallen und stundenlang mit Leidensmiene über Behörden- und Justizwillkür klagen.

Detlev B. gehört zu der Sorte Mensch, die sich immer als Opfer darstellen. Aber dem Mann ist auch wirklich hart mitgespielt worden. Aufgrund einer falschen Diagnose mußte er mehrere Jahre in der geschlossenen Psychiatrie in München zubringen. Dies ist inzwischen über zehn Jahre her. Vor dem Amtsgericht Moabit stand er jetzt aus einem anderen Grund: Er hatte von Bündnis 90/Die Grünen im Rathaus Steglitz drei Blankoschecks gestohlen. Den Bündnisgrünen war Detlev B. gut bekannt, weil er dort mehrfach seine Leidensgeschichte erzählt und um Hilfe gebeten hatte. Die Grünen hatten ihn daraufhin bei verschiedenen Ämtergängen unterstützt. Als Dank gab sich Detlev B. im April 95 beim Pförtner des Rathauses als Grüner aus und bekam den Schlüssel zum Büro ausgehändigt, in dem die Schecks lagen.

Am nächsten Tag versuchte er, die Schecks unter dem Namen Wendehals zu Geld zu machen. Für den ersten zahlte ihm eine Bank wirklich 250 Mark aus. Mit den anderen wollte er in einem Reisebüro in Steglitz für 1.500 Mark einen Flug nach Rom nebst Hotel buchen. Doch die mißtrauisch gewordene Angestellte hielt den Kunden so lange hin, bis die Polizei kam. Detlev B. wanderte in Untersuchungshaft, weil er bereits wegen einer anderen Sache gesucht wurde: Einige Monate zuvor hatte er sich mit falschen Angaben bei der City-Bank in Aachen eine Visa-Card und eine Bahn-Card beschafft. Seine Behauptung, beim Justizministerium Düsseldorf mit einem Monatseinkommen von rund 5.000 Mark beschäftigt zu sein, war nicht überprüft worden. Anschließend reiste er durch Europa, wohnte auf Rechnung der City-Bank in Hotels, fuhr in Taxis und kaufte ein. Erst als eine Summe von 11.000 Mark zusammengekommen war, wurde die Karte gesperrt.

Als er jetzt deshalb vor dem Amtsgericht stand, lag Detlev B. nichts ferner, als „Täter“ zu sein. Mit gequälter Miene beklagte er, sich an rein gar nichts erinnern zu können, weil er alkohol- und tablettenabhängig sei. Dann erzählte er seine Lebensgeschichte, verlor sich in verwirrenden Details, wiederholte sich häufig, wurde bisweilen laut und heftig.

Geboren wurde Detlev B. in Weimar. Im Alter von sechs Jahren habe ihn der Vater, ein Alkoholiker, sexuell mißbraucht, erzählte er vor Gericht. Detlev B. kam ins Heim, wo es aber nur Schläge statt Zuwendung gegeben habe. Ausbildung zum Krankenpfleger und Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee folgten. Dann wurde er bei einer Demonstration der christlichen Friedensgemeinde festgenommen und zu zehn Monaten Haft verurteilt. Die habe er in einem „Stasi-Knast“ abgesessen, wo er schwer mißhandelt worden sei. Von den Schlägen habe er eine Kopfplatzwunde und einen gebrochenen Ellenbogen davongetragen, sagte er.

1978 wurde Delev B. vom Westen freigekauft. Doch nun ging es richtig mit ihm bergab. Ohne seine in der DDR gebliebenen Ausbildungszeugnisse konnte er nicht als Krankenpfleger arbeiten und jobbte deshalb zunächst als „Hebammme für alles“ in einer Pension in Oberbayern. Weil ihm sein Chef den Lohn vorenthalten habe, habe er dessen Scheckbuch geklaut und 1.400 Mark bei einer Bank einzulösen versucht. Er wurde jedoch festgenommen. Aus Verzweiflung habe er einen Suizidversuch unternommen, sagte er.

Der nächste Diebstahl wurde Detlev B. zum Verhängnis. Nachdem er im Starnberger Landratsamt ein Portemonnaie mitgehen ließ, wurde er auf Antrag des Münchner Landgerichts von einem Psychiater begutachtet. Der Medizinaldirektor diagnostizierte bei Detlev B. eine Schizophrenie und Wahnvorstellungen, woraufhin das Gericht eine unbefristete Unterbringung in der Psychiatrie München-Haar anordnete.

Dort lebte der Mann viereinhalb Jahre lang in einem kleinen Zimmer ohne Bücher, Radio und Fernseher und wurde mit Psychopharmaka vollgepummt. Schließlich gelang es ihm, ein Gegengutachten durchzusetzen. Weil der Arzt keinerlei Symptome für eine Geisteskrankheit erkannte, hob das Gericht den Unterbringungsbeschluß 1985 wieder auf.

Doch Detlev B. kam mit dem Leben in Freiheit nicht klar. Er wurde zum Alkoholiker, weitere Diebstähle und kleinere Betrügereien folgten. Seine Prozesse endeten in der Regel mit einer Therapieauflage. Die Odyssee durch verschiedene Therapieeinrichtungen endete meist damit, daß Detlev B. nach kurzer Zeit vor die Tür gesetzt wurde. „Er leidet an ausgeprägten neurotischen Störungen mit querulatorischen Zügen und hat eine große Anspruchshaltung“, beschrieb der psychiatrische Sachverständige Seidel den Angeklagten vor einigen Tagen vor dem Amtsgericht. „In Gruppentherapien kommen alle anderen zu kurz, weil sie von ihm an die Wand gespielt werden.“ Detlev B. sei eindeutig „ein Opfer der Psychiatrie geworden“. Sein Zustand habe sich durch den Aufenhalt in München-Haar nicht verbessert, sondern verschlimmert, befand Seidel. Wie der Medizinaldirektor in Bayern zu der verhängnisvollen Diagnose gekommen war, konnte sich Seidel „absolut nicht“ erklären: „Ich wage zu behaupten, daß es in Berlin unmöglich ist, daß jemand wegen so etwas eingewiesen würde“, erklärte er.

Die Frage in dem Prozeß war, was tun mit dem Angeklagten? Sein eigens aus Iserlohn angereister Verteidiger forderte eine Bewährungsstrafe, damit ihm nochmals die Chance einer Therapie gegeben werden könne. „Ein Mensch mit dieser Vorgeschichte muß anders behandelt werden als ein normaler Scheckbetrüger“, sagte der Anwalt.

Die Richterin sah dies anders. Bei einem Telefonat vor dem Prozeß mit der als Zeugin geladenen Assistentin der Steglitzer Bündnisgrünen soll sie bereits angedeutet haben, daß Detlev B. endlich einmal die volle Härte des Gesetzes spüren müsse. Und so fiel das Urteil dann auch aus. Zwei Jahre ohne Bewährung. Bei dem Angeklagten sei im Leben zwar „viel schiefgegangen“, dies sei aber noch lange kein Grund, kriminell zu werden, sagte die Richterin. Aufgrund der zahlreichen abgebrochenen Therapien sehe sie keine Möglichkeit, ihm eine günstige Sozialprognose zu stellen.

Der Angeklagte unterbrach sie mit dem aufgebrachten Zwischenruf: „Damit verschlimmern Sie alles.“ Die Richterin entgegnete kühl: Detlev B. könne doch versuchen, vorzeitig entlassen zu werden. „Das haben Sie doch schon öfter geschafft“, setzte sie hinzu. Die Assistentin von Bündnis 90/Die Grünen, Kirsten B., die den Prozeß als Zuschauerin verfolgte, schüttelte über das Urteil fassungslos den Kopf: „Er gehört nicht in den Knast. Er braucht Hilfe.“

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